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PORTRÄT2019-04-14T11:04:05+02:00

Über den Künstler

Günther Rechn zählt zu den renommiertesten Künstlern im ostdeutschen Raum und in Italien. Er ist ein Vertreter des Realismus im gegenständlich, figürlichen Bereich mit expressiven Elementen.

Seine Werke hängen in Museen und bekannten Privatsammlungen in Deutschland, Italien, Frankreich, Polen und Tschechien.

Künstlerischer Werdegang

  • *1944

    Geboren am 14.03.1944 in Lodz
  • 1966-1971

    Studium der Gobelinwirkerei und Malerei an der Kunsthochschule Burg Giebichenstein (Halle | Saale) unter anderem als Schüler von Lothar Zitzmann, Hannes H. Wagner und Willi Sitte.
  • 1971-1972

    Aspirantur
  • 1972-1977

    Assistent für Naturstudium & Aktzeichnen an der Hochschule Burg Giebichenstein.
  • 1977 und Folgejahre

    Freischaffender Maler und Grafiker in der Niederlausitz.
  • 1978

    Preis der Ausstellung “Junge Künstler 1978”
  • 1980er Jahre

    Vorsitzender des Verbandes Bildender Künstler des Bezirks Cottbus.
    Veröffentlichungen in verschiedenen nationalen und internationalen Ausstellungen.
  • 1985

    Preis der Ausstellung “Kunst und Sport”
  • 1986

    Theodor-Körner-Preis
  • 1987

    Carl-Blechen-Preis
  • Wende und Folgejahre

    Bühnenmaler am Staatstheater Cottbus und Restaurator in Niederbayern.
  • 1993-1994

    Erster Stadtzeichner vom Cottbus der Nachwendezeit.
  • seit 1994

    Freischaffender Künstler in Limberg bei Cottbus sowie in Grosseto, Italien.
  • 2013 bis heute

    Freischaffender Künstler in Cottbus.

Vorworte und Laudationes

 

Ausstellung Schloss Branitz 20192019-04-19T12:12:37+02:00

In rund 50 Jahren künstlerischen Seins hat Günther Rechn ein Werk geschaffen, das höchst eigenwillig in Form und Farbe vorzugsweise der menschlichen Figur gilt. Man kann sagen, dass das Menschenbild das eigentlich treibende Kraftzentrum seiner bildnerischen Kreativität ist. Erstaunlich frühzeitig hat Rechn entdeckt, was sein Eigenes, sein Eigentliches ist und hat dafür eine künstlerische Handschrift gefunden, die den Grundgestus des zeichnerischen Gerüsts seiner Bilder ausmacht, in denen Farbe dauerhaft zum Ausdrucksträger emotionaler Gespanntheit wird und gesellschaftliche Relevanz als gesetzt gilt. Letzteres bestimmt die Suche des Künstlers nach einer Vorstellung von intakten Zuständen in Zeiten des von Konflikten und Krisen begleiteten gesellschaftlichen Wandels. Vorzugsweise charakterisiert er hierbei eine über die scheinbare Alltagssituation hinausgehende, tiefer liegende gesellschaftliche Stimmung, welche häufig genug die Grenze zwischen Realität und Fiktion überschreitet.

Seit dem Studium bei Lothar Zitzmann, Hannes H. Wagner und Willi Sitte in Halle wird ihm nachgesagt, dass er das im Augenblick Geschaute in eine exemplarische Dimension erhebt und dabei ganz individuelle Resonanzen auf Gesehenes und Erfahrenes entwickelt. Gepaart mit einem umfassenden Erkenntnisstreben, sucht Rechn seine Wirklichkeitserfahrungen in verdichteter, metaphorischer Form sinnlich zu vermitteln, um das häufig genug Unfassbare der Wirklichkeit zugänglicher zu machen. Bereits in der Kunstgeschichtsschreibung der 1970er Jahre wird Günther Rechn als expressiver Realist geführt, was in seinen Menschen und Tierbildern, aber auch in den Landschaftsdarstellungen und Stillleben zum Ausdruck kommt. Farbe in ihrer sinnlichen Präsenz und in ihrer ausbalancierten Konzentration war, ist und bleibt Dreh- und Angelpunkt von Rechn künstlerischem Tun, indem das Weglassen von Unwesentlichem zur Essenz der Dinge und Erscheinungen führt. Mit Vorliebe dramatisiert er sensuelle Erfahrungen und wandelt sie zu nuancenreicher Farbintensität und kraftvollen Ausdruck gegen den Rahmen andrängen. Überhaupt suggerieren seine Bildmotive den Eindruck potentieller Veränderlichkeit, legen assoziative Bedeutungsebenen nahe, ohne sie normativ festzuschreiben. Zudem zeigt der Maler in seinen Bildern immer wieder, dass Expression und Sensibilität, Stärke und Verletzlichkeit, keine Gegensätze sein müssen. Und weil er stets bestrebt ist, zum Kern der zeitgenössischen Existenz vorzudringen, dabei eigene Lebenserfahrung und das Unterbewusstsein in den Malprozess einzubinden, unterliegt die Entstehung seiner Menschenbilder gesellschaftlichen, politischen und kulturellen Bedingungen.

Innerhalb seines umfangreichen Werkes gehören Bildnisse und Selbstporträts zu den intensiven Darstellungen, die neben dem Zeitgeist immer auch eine tiefere Sicht von Seelenzuständen versinnbildlichen. Gerade in den nervös energetischen Porträts, die zwischen Verinnerlichung und exaltierter Gesichtsmimik schwanken, zeigt sich, dass neben der Wiedergabe rein physiognomischer Erkennungsmerkmale die Darstellung geistiger oder moralischer Eigenschaften entscheidend ist und die subjektiven Merkmale der Porträtierten sich in eine mehr oder weniger geistige Architektur des Gesichtes verwandeln.
Wie kein anderes Medium berührt das Selbstbildnis ganz unmittelbar menschliche Existenzerfahrungen, Selbstwahrnehmung und schließt das Außenbild ein. Im Verbund mit der eigenen Daseinshaltung und im Bewusstsein der gesellschaftlichen Umstände nimmt das Gespür für gebrochene Biografien und die Wechselfälle des Lebens bei den Porträtierten zu, wobei die aus der eigenen Daseinshaltung erwachsende Ironie gelegentlich Züge des Karikaturhaften annimmt. Nicht selten lockt der menschenfreundliche Skeptiker Rechn dabei den Geist des Komischen hervor, was seine bisweilen sarkastische Haltung gegenüber Erscheinungen einer kleinbürgerlich gestrickten Welt bestimmt. Spürbar wird dies in Gruppendarstellungen wie der Märkische Fete, wo dank eines dechiffrierenden Verfahrens menschliches Verhalten sich in einem Panoptikum gegenseitiger Bewunderung und Hofierung manifestiert. Sich selbst zu porträtieren, setzt in der Regel eine radikale und mutige Entscheidung voraus und zeigt am Ende eine Art Lebensbilanz und – was der Künstler an seiner physischen und psychischen Erscheinung als spezifisch empfindet. Der Zeitlichkeit des irdischen Daseins begegnet er in nüchterner Zurückhaltung, notiert die Veränderungen seiner Physiognomie sorgfältig und zeigt unerbittlich den Alterungsprozess, der die psychische Beschaffenheit des Künstlers im Selbstversuch einschließt.

Als grundsätzliches Charakteristikum des künstlerischen Ausdrucks von Günther Rechn gilt die meisterliche Darstellung von Bewegungsabläufen oder von plötzlichem Bewegungsstillstand, was im übertragenen Sinn auch als Vergegenwärtigung der verrinnenden Zeit erscheint. Gerade in den Tierdarstellungen zeigt sich diese außerordentliche Begabung zur Darstellung von Bewegungen, von Beweglichkeit, die einzelne Phasen verbindet und als Sinnbild animalischer Kraft und Daseinsfreude über das Momenthafte hinaus reicht. Es ist kein Geheimnis, dass Rechn sowohl in der Porträtkunst als auch bei den von obsessiven Verlangen angetriebenen Tierdarstellungen Themen über einen längeren Zeitraum verarbeitet. Von den ersten Zeichnungen des jungen Künstlers bis in die unmittelbare Gegenwart steht das Tier im Zentrum seines künstlerischen Denkens. Das Genre, das weit in die Zivilisationsgeschichte zurückweist, galt, was die Harmonie zwischen Mensch und Tier angeht, lange Zeit als Merkmal des verlorenen Paradieses. In der jüngeren Kunstgeschichte war es Franz Marc, der die ethische Frage nach der Gleichstellung von Mensch und Tier wie kein anderer in seinem Werk thematisierte. Auch bei Rechn, der Marc allein schon deswegen schätzt, ist das Tier konkretes, vertrautes Individuum und Träger einer symbolischen Bedeutung. Wie Franz Marc glaubt auch er an eine absolute kreatürliche Gleichwertigkeit von Mensch und Tier. Unschwer zu erkennen, dass der Hund als der beste Freund des Menschen eine Favoritenrolle besetzt hält. Rechns Verweise auf die enge physische Verstrickung von Mensch und Tier offenbaren zum Einen das archaische Bild des scheinbar domestizierten Tieres und zum Anderen eine geradezu hypnotisierende Körpersprache, in der das Zusammentreffen von Mensch und Tier, eine Choreografie aus Leidenschaft und Vernunft, von Eros und Tod im alltäglichen Ritual darstellt.

Dass Rechns Gemälde trotz ihrer bewegten Gegenständlichkeit nicht Abbilder einer bestimmten Realität sind, sondern vielmehr Ideen und Visionen wiedergeben, mit denen sich der Künstler über Jahrzehnte auseinandersetzt, verdeutlichen auch die Landschafts-darstellungen und Stillleben. Für den Maler ist das Erleben von Natur und Landschaft stets an den ihnen innewohnenden Fundus an Formen und Farben gebunden, die er mit seinen Erfahrungen und Einsichten von Wachstum, Gestaltung und Wandel und – dem Wunsch nach Überwindung der Entfremdung von der Natur verbindet. Inspiriert von Naturbeobachtungen ringt er um spannungsvolle, tragende Konstruktionen, die aus sich selbst heraus eine lebendige Erscheinungswelt hervorbringen, ohne die Natur vordergründig nachzuahmen. Vielmehr verwandelt er seine Beobachtungen in Farbenergien und poetische Imagination. Folgerichtig erzeugen die Farben Im spannungsvollen Zusammenwirken ihre besondere Kontrastbeziehungen, ihre flächenmäßige Ausdehnung und ihren materiellen Auftrag ein plastisches Vermögen, welches im Bild eine räumliche Dimension ohne perspektivische Illusion herstellt. So geht es in den porträtierten Branitzer Landschaften weniger um pittoreske Ansichten von Teichen, Pyramiden und Schloss, als um Annäherung an die Vorbilder und um malerische Erkundungen des Raumes. Natur wird hierbei als kulturelle Konstruktion verstanden und in durchweg vehementer Farbgebung reflektiert. Dabei entscheidet sich Rechn bewusst für die Dialektik von Ort und Geschichte, für die sinnliche Gegenwärtigkeit mehrerer Zeitebenen. Dass er in Ausnahmen auch landschaftlichen Allegorien gegenüber nicht abgeneigt ist, zeigt sich darin, dass er den Parkomanen Pückler auf Stelzen sein angestammtes Branitzer Revier abschreiten lässt. Ein Indiz mehr dafür, dass der Künstler sich über Jahrzehnte auf originelle Weise mit existenziellen Themen auseinandersetzt und auf der Suche nach einer Vorstellung von intakten gesellschaftlichen Verhältnisse auch weiterhin fündig wird.

© Herbert Schirmer, 18. April 2019, Laudatio zu Günther Rechns Ausstellung in Branitz

Ausstellung Hauptsitz Sparkasse Spree-Neiße 20192019-04-19T12:14:36+02:00

Mit den in jüngster Zeit entstandenen, skizzenhaft wirkenden Acrylbildern unternimmt Günther Rechn eine Art bilanzierender Reise durch sein bisheriges Werk, bei der die Erfahrungen eines langen, von beglückenden Höhepunkten und tiefgreifenden Konflikten begleiteten Malerlebens zusammengefasst erscheinen. Mehrfach hinterfragt der Skeptiker Günther Rechn das ihm vertraute und ihn ausmachende Verständnis von figurativer Form, um es zugunsten strukturell offener Gestalten als Bedeutungsträger zu steigern. Als Ausdruck einer leidenschaftlich- produktiven Schaffensphase, die durchaus als Frühphase des einsetzenden Spätwerkes bezeichnet werden kann, lässt er uns an einer Art Entdeckungsreise teilhaben, die einer erweiterten Variante motivischen Sehens im Spannungsfeld zwischen Innen- und Außenwahrnehmung gleicht. In gewohnt expressiver Weise mobilisiert er eine Phantasiewelt, in der apokalyptische und archaisch anmutende Aktionen aufscheinen, die eine tiefere Sicht auf gesellschaftliche Zustände wie auch auf individuelle Befindlichkeiten provozieren. Die teils dramatische Konfrontation der Farbsubstanzen lässt sowohl harmonische wie auch dissonante Klänge in überraschenden Kombinationen zu und hält den Schwebezustand zwischen Figuration und gemäßigter Abstraktion offen. Letztlich ist eine scheinbare skurrile Welt mit Figurenfragmenten und forcierten Strichfigurationen, mit changierenden Farbsetzungen und wächsernen Konturen zu entdecken, was jedem Bild ein dynamisch-erregtes Eigenleben verleiht. In diesen von starkem Auffälligkeitswert beherrschten Bildern findet sich eine Synthese von malerischer Sinnlichkeit und gestischer Energie. Zerfließende Körper künden von Transparenz, von Fragilität und auch von Wehrlosigkeit gegenüber übermächtigen, nicht näher bezeichneten äußeren Einflüssen und Gewalten. Darum lässt Günther Rechn alles Lebendige, ob in Harmonie oder in Dissonanz an einem Ort zusammenkommen, um die verschiedenen Bildwelten durch Verfremdungseffekte miteinander zu versöhnen. Und er verleiht den ahnungsvollen Gruppenbildern menschlicher und tierischer Provenienz etwas geheimnisvoll Abgründiges, was den verantwortungsbewussten Geschichtenerzähler Rechn, der zwischen Traum und Albtraum balanciert, den Glauben an die Welt nicht verlieren lässt.

Sowohl in den exzessiven Aktionen wie auch in den in sich gekehrten Darstellungen rätselhafter Körperlichkeit wird Günther Rechn, für den das Verhältnis zur Farbe den Dreh- und Angelpunkt seines künstlerischen Schaffens darstellt, endgültig zum Farbalchimisten, dem weniger an authentischen Effekten gelegen ist, als an der Herstellung kraftvoller Farbereignisse. Nur zu gern lässt er sich dabei vom Sog der Farben leiten und verführen und zeigt sich bereit, die flüchtig gesetzten Farbflächen von starren Formgrenzen zu befreien.

Ironie und Humor, Subtiles und Banales, Witz und Schalk, Absurdes und Groteskes kommen dabei ganz selbstverständlich und zu gleichen Teilen mit einem Hang zum Allegorischen ins Spiel, nämlich dann, wenn im Verschwommenen der Sujets überraschend collagierte fotorealistische Einzelheiten auftauchen. Für den Moment verweisen sie auf die Utopie der Natureinheit der deutschen Romantik und ihre bis heute ungelösten Rätsel von der Einheit alles Lebendigen. Mit diesen leicht verstörenden Geschichten, den drastischen Szenen und geheimnisvollen farbtrunkenen Figurationen, fordert Günther Rechn eben nicht nur unser Wahrnehmungsvermögen heraus. Vielmehr wird deutlich, dass er hinter der Maskerade grundsätzliche Fragen der menschlichen, respektive der tierischen Existenz thematisiert. Damit erfüllt er sich ein ihm wichtiges Anliegen, nämlich Mensch-Tier-und Natur wieder in Einklang zu bringen – zumindest auf dem Papier legt er Spuren hin zu subjektiven Interpretationen.

© Herbert Schirmer, 18. April 2019, Laudatio zu Günther Rechns Ausstellung in der Sparkasse Spree-Neiße

Vorwort Katalog Auststellung Schloss Branitz 20192019-04-19T12:08:19+02:00

Vorwort zum Katalog der Branitzausstellung 2019

Er ist und bleibt ein Figurenmaler. Diese an sich lapidare Feststellung versteht sich weniger als trotzige Selbstbehauptung, denn als programmatischer Vorsatz, der die Jahrzehnte seines bildnerischen Schaffens nachhaltig geprägt hat. Von Anbeginn seiner künstlerischen Tätigkeit sieht Günther Rechn in der realistischen Auffassung und der Fortschreibung und Wandlung der Gegenständlichkeit seinen Anspruch, zeitgenössische gesellschaftliche Probleme gestalten zu können. Dabei hing er zu keinem Zeitpunkt einem formalen Konservatismus an, vielmehr war und ist ihm an der Vermittlung eines bestimmten Lebensgefühls einer Epoche und dessen Weitergabe an nachfolgende Generationen gelegen. Weniger aus gesellschaftlicher Erfordernis, sondern aus persönlichen Bekenntnis tritt er damit allen Gegenströmungen zum Trotz dem Verschwinden des Menschen in der Kunst entgegen. Seiner Überzeugung folgend, bleibt die Beschäftigung mit der menschlichen Figur ein wichtiges Aufgabenfeld der Kunst. Unabhängig von ihren malerischen und formalen Qualitäten zeigt er in seinen Menschenbildern, die hinter expressiver und verfremdender Gestaltung sehr stark von Daseinskonflikten, von Melancholie und Trauer geprägt sind, was er als Ausdruck tiefer Verunsicherung und als Selbstvergewisserung bei der Suche nach verbindlichen Werten verstanden wissen will. Über die Jahre ist zu verfolgen, dass er die narrative Darstellungsfunktion der Kunst, die sich auf das Leben bezieht, beibehalten hat und sie unter Einbeziehung der Erfahrungswirklichkeit als Bezugsebene reflektiert. Das sich unentwegt verändernde Avantgardistische, das sich weitgehend erschöpft hat, war Günther Rechns Sache nie. Gegen die Kurzatmigkeit im Hindernislauf gängiger Kunstentwicklung hat er sich, nicht immer mit Gewinn, der dinglichen Existenz in der Malerei versichert.

Die Malerei Günther Rechns atmet förmlich das Schritt- und Schichthafte ihres Entstehens, in dessen Verlauf Entscheidungen getroffen und wieder verworfen werden, bis mehrfach übereinander gelegte, bearbeitete Flächen und abrupte verlaufende Linien zu verblüffender Dichte finden. In der spontan wirkenden, farbkräftigen Malerei, in der barocke Wucht und Fülle ebenso aufscheinen wie feinsinnige, aus der Zeichnung kommende lineare Gespinste oder geringfügig modulierte monochrome Tonflächen als raumloser Hintergrund, gehören partielle Veränderung wie die Auflösung des Gegenstandes oder einzelne Phasen eines Bewegungsablaufes zu den konstituierenden Elementen. Seinen wiederkehrenden Motiven, darunter Menschenbilder, Tiere, Landschaften oder Stillleben entzieht er alles Genrehafte wie auch schmückende Details, um eine allgemeingültige und doch spezielle wiedererkennbare Formensprache zu kreieren. Statt gedanklicher Vorarbeit oder einer über das Kunstwerk hinausweisenden Idee zu folgen, gelingt es ihm, den Prozess der Bildfindung in seiner ursprünglichen Lebendigkeit für den Betrachter erfahrbar zu gestalten. Dabei vertraut er dem malerischen Instinkt und der Imaginationskraft, in dem er malerische Sinnlichkeit und gestische Energie zu einer spontan wirkenden farbkräftigen Malerei bündelt, die weder angestrengt durchdachte Konzepte benötigt, noch sich in mythischen Tiefen verliert. Letzteres ändert sich erst, nachdem Günther Rechn im Jahr 2000 Sulmona, die Geburtsstadt des römischen Dichters Ovid besucht und mit dessen Metamorphosen in Kontakt kommt. Was ihn neben dem Sinnbildhaften zur Auseinandersetzung damit reizt, sind die Sagen über den Gestaltwandel von Mensch, Tier und Natur. Liefern doch gerade die antiken Mythen von jeher den Stoff zur Bewältigung politischer und gesellschaftlicher Probleme in Krisenzeiten. In der Folge entstehen Arbeiten zum Herakles-Mythos und zu den Kentauren, jenen sagenhaften Mischwesen aus Pferd und Mensch mit ihren auf die Gegenwart bezogenen Deutungsspielräumen.

In einer musisch geprägten Familie aufwachsend, hatte Günther Rechn schon in sehr frühen Jahren gezeichnet und gemalt. Zur Kunstausübung unter Anleitung fand er dann zu Beginn der 1960er Jahre über das Bildnerische Volksschaffen in Halle. Sein erster Zirkelleiter war Hans Rothe, der von 1945 bis 1951 an der Kunstschule Burg Giebichenstein bei Charles Crodel Malerei studiert hatte. Rothe vermittelte seinen Zöglingen solide handwerkliche Grundlagen und einen aktiven Umgang mit kräftigen Farben. In einem ebenfalls von der Stadtverwaltung geförderten und von Hannes H. Wagner geleiteten Zirkel war der Siebzehnjährige ab 1963 Mitglied. Hannes H. Wagner, seit 1962 an der Burg Giebichenstein Leiter des Lehrstuhls für Angewandte Malerei, Glasmalerei und Wandmalerei, setzte auf den schöpferischen Umgang mit Materialien und ermunterte die Zirkelmitglieder zu experimentieren. Eine der wenigen erhalten gebliebenen Ölmalereien aus dieser Zeit zeigt die Burg Giebicheinstein als Günther Rechns Sehnsuchtsort. In der vehementen Bildaktion führt er eine scheinbare malerische und gegenständliche Unbekümmertheit mit der bewusst kompositionellen Verteilung der Farbzonen gekonnt zusammen.

Während der schriftlichen Reifeprüfung bewarb Günther Rechn sich an der Hochschule für Graphik und Buchkunst in Leipzig. Die Aufnahmeprüfung bestand er problemlos, doch zunächst wurde ihm eine naheliegende Berufsausbildung empfohlen. Rechn entschied sich für die Ausbildung zum Gebrauchswerber und Dekorateur. Doch das zuständige Wehrkreiskommando war schneller. Bis zur Einberufung 1965 arbeitete er als Kulissenmaler am Landestheater in Halle. Der verhinderte Kunststudent leistete 18 Monate Wehrersatzdienst bei der Bereitschaftspolizei in Halle. Anstatt Großveranstaltungen abzusichern, gestaltete er in zunehmendem Maße Wandzeitungen, Transparente und Schrifttafeln. Auch besuchte er weiterhin den Mal- und Zeichenzirkel von Hannes H. Wagner. In dieser Zeit bewarb sich der Zweiundzwanzigjährige mit einer Mappe Porträt- und Tierzeichnungen an der Burg Giebichenstein. Auch hier bestand er die Eignungsprüfung spielend. Ende September 1966 war es dann soweit. Günther Rechn wurde vorfristig von der Bereitschaftspolizei zum Studium abkommandiert. Es war die Zeit, in der sich, v. a. festgemacht an Willi Sitte, die überregionale Wirksamkeit der halleschen Kunst, von der “neue Ausdruckselemente wie Sinnbildlichkeit, Simultaneität und gesteigerte Sinnlichkeit in der Darstellungsweise die sozialistische Malkunst in der DDR beeinflussten.”(Wolfgang Hütt).

Vor Günther Rechn lagen fünf Ausbildungsjahre in Gobelinwirkerei und Malerei. Die Lehrer hießen Lothar Zitzmann, Willi Sitte und Hannes H. Wagner. Ob seiner exzellenten maltechnischen Grundlagenvermittlung und als geselliger Mensch, der für seinen deftigen Humor geliebt wurde, war Hannes H. Wagner für Rechn ein väterlichen Freund. Im Rückblick bezeichnet er jedoch Lothar Zitzmann als den für ihn maßgeblichen Lehrer, der über die Vermittlung des bildkünstlerischen Handwerks hinaus den Studenten die formalen Grundlagen der Abstraktion vermittelte. Zitzmann, Verfasser der gleichnamigen systematischen Grundlehre[i], seit 1965 Professor an der Burg, galt zudem als Verfechter eines lapidaren Realismus, in dem er konstruktive Bildbauprinzipien mit Gegenständlichkeit kombinierte. Dagegen war Willi Sitte, seit 1970 Direktor der Sektion Bildende und Angewandte Kunst, eine Art Übervater, wenn es um die hohe Kunstfertigkeit des Zeichnens ging. Dem Vorbild darin nicht nachstehend, provozierte Rechn, der zurecht von sich behauptete, “wie die alten Meister zeichnen zu können, nur in verwildeter Form” (G. R. im Gespräch mit dem Autor 2019 ) immer mal wieder eine zeichnerische Wettbewerbssituation, die, sehr zu seiner Freude und ob der virtuosen Fähigkeiten beider, meist unentschieden endete. Während der Ereignisse des Prager Frühlings mit dem Einmarsch der Truppen des Warschauer Paktes im August 1968, wechselte Willi Sitte, der zunächst Kritik äußerte und kurz darauf aus Gründen der Parteiräson schließlich gegen das tschechische Modell eines Sozialismus mit menschlichem Antlitz Position bezog, die Fronten, was dazu führte, dass seine Karriere als Funktionär bis in die höchsten Parteigremien an Fahrt aufnahm. Irritiert und von der Wechselbereitschaft des Meisters verunsichert, ging Günther Rechn kurzzeitig auf Distanz zu ihm. Das änderte sich schon bald, als beide einen Kunst-am-Bau-Auftrag an einer Außenwand der 1969 eröffneten Kunsthalle Rostock zum Thema “Internationale Solidarität” gestalten sollten. Das Vorhaben zerschlug sich. Zumindest wurden die von Günther Rechn gefertigten Kartons zum geplanten Wandbild als Diplomabschluss anerkannt.

Neben Uwe Pfeifer waren es vor allem die jungen Protagonisten Harald Döring und Günther Rechn, die in den 1970er Jahren mit “dynamisierten Bildräumen” Aufmerksamkeit provozierten. Lothar Lang machte darin “das bestimmende Charakteristikum […] von Rechns Kunst aus, der die Bewegungsprozesse in einem unruhigen, mitunter hektischen Strich festhält”[ii].Das unversehens Angehaltene einer Bewegung, das Momenthafte eines plötzlichen Stillstands im Sinne heutiger Video-Stills, das Rechn wie kaum ein anderer verstand, sollte zum Markenzeichen v. a. in seinen Tierbildern und Sportdarstellungen werden. Der Hallenser Kunsthistoriker Wolfgang Hütt erkannte mit Blick auf die Bewegungsstudien von Mensch und Tier: “Sie sind unter Verzicht auf alle unwesentlichen Details vorgetragen, unscharf in der Konturierung, eigenartig in Beleuchtung und Kolorit. Sie erinnern an die Verwischungstechnik eines Francis Bacon und berühren sich in der von Flächenspannungen ausgehenden Malweise Harald Dörings.”[iii] Im Jahr 1972 übernahm Rechn eine Aspirantur an der Burg Giebichenstein. Ein Jahr später wurde er an der Seite der Textilkünstlerin Inge Götze Assistent für Naturstudium & Aktzeichnen. Er setzte die von Gustav Weidanz und Erwin Hahs in den 1920er Jahren begründete Tradition des Naturstudiums und Aktzeichnens als Bestandteil der Grundlagenausbildung fort. Dabei mied er akademische Dogmatik und hielt sich und andere offen für das Spielerische.

Als hilfreich erwies sich die kunstpolitische Großwetterlage seit Beginn der 1970er Jahre, mit der sich unter der Zauberformel Weite und Vielfalt ein Wandel der offiziellen Auffassungen in der DDR ankündigte. Die angestrebte und nur in Ausnahmen erreichte Idealprojektion von gesellschaftlicher Wirklichkeit in der Kunst wich zunehmend dem nüchternen Sein verpflichteter Alltagsschilderungen, in denen, noch vorsichtig, mit gesellschaftskritischen Symptomen laboriert wurde. Sukzessive verließen die Arbeitshelden als zu verallgemeinernde Typenporträts der neuen Gesellschaft die Leinwände. Zu diesem Zeitpunkt zählte Rechn, der im Bewusstsein seines handwerklichen Könnens und in der Auseinandersetzung mit der Abstraktion malte und zeichnete, zu den expressiven Realisten. Er war kein Anhänger der Gedankenkunst, wie sie im benachbarten Leipzig gepflegt wurde. Auch wenn im formalen wie im faktischen Sinn die Dinge und Erscheinungen der äußeren Welt genügend Anlass boten, fanden sich in der von malerischer Sinnlichkeit und gestischer Energie strukturierten Bildwelt keine angestrengt durchdachten Konzepte.

Nach fünf Jahren endete die Assistentenzeit in Halle. Günther Rechn, seit 1971 mit Beate, geborene Müller verheiratet, zog es, in der Hoffnung, der schlechten Luft der Chemiestadt Halle zu entfliehen und mit dem Landleben zugleich mehr Raum für seine geplante Hundezucht zu gewinnen, nach dem zwischen Senftenberg und Hoyerswerda gelegen Lauta. Im Jahr 1978 löste Günther Rechn den Cottbuser Maler Rudolf Graf als Bezirksvorsitzender des VBK/DDR ab, was zu Beginn der 1980er Jahre den Umzug von Lauta nach Limberg bei Cottbus zur Folge hatte. Inzwischen war auch das Zwillingspaar Isa und Urs, der später ein bekannter Schauspieler werden sollte, geboren. Zudem erhielt Günther Rechn den Preis der Ausstellung “Junge Künstler 1978”. Überhaupt sind die nachfolgenden Jahre geprägt von Preisverleihungen: 1985 Preis der Ausstellung Kunst und Sport, 1986 Theodor-Körner-Preis der DDR und 1987 der Carl-Blechen-Preis. Als Verbandsfunktionär von 1978-1983 war Rechn mehr oder weniger in die Machtstrukturen der Kunstpolitik der SED eingebunden, was ihn zunehmend belastete.

Im letzten Jahr seines Verbandsvorsitzes tauchte Günther Rechn neben Sigrid Noack aus Guben in der Liste der Diskussionsredner auf dem IX. Kongress des VBK/DDR in Berlin 1983 auf. Leidenschaftlich bewarb er die Funktion der sozialistischen Kunst für die Entwicklung der Gesellschaft und bezog sich dabei auf seine jeweils einmonatigen Aufenthalte im Libanon, von 1979 und 1981. Ihn hatten vor Ort die Daseinskonflikte der Palästinenser bewegt. Das Redemanuskript war ihm vor der Veranstaltung übergeben worden. Initiiert vom Ministerium für Kultur der DDR gehörten der Studiengruppe mit Falko Behrendt, Christian Heinze, Edmund Bechtle und Uwe Bullmann weitere bildende Künstler an. In der Ausstellung Engagement Palästina der Staatlichen Kunstsammlungen Cottbus war Günther Rechn folgerichtig mit zehn Arbeiten zum Thema beteiligt.

Als die 2012 verstorbene Bernadette Contensou, Direktorin des Musée d´ Art moderne de la Ville de Paris, 1981 mit der Ausstellung “Malerei und Graphik in der DDR” die bedeutendste Präsentation jenseits der DDR-Grenzen zusammenstellte, war Günther Rechn mit einem Porträt des 1940 in Halle geborenen Malers Hans-Joachim Biedermann, Zwillingsbruder des Malers Helmut Biedermann, dabei. Von 1977 bis 1988 beteiligte er sich mit abnehmender Tendenz an den Kunstausstellungen der DDR in Dresden. Waren es zur VIII. Kunstausstellung noch vier Werke, davon drei zum Thema Sport, so sah man in der X. Kunstausstellung 1986 nur das Ölbild “Knabe mit Doggen”, das seitdem im Museum der bildenden Künste in Leipzig aufbewahrt wird.

Nach dem Beitritt der DDR zum Geltungsbereich des bundesdeutschen Grundgesetzes am 2. Oktober 1990 betätigte Günther Rechn sich als Bühnenmaler am Staatstheater Cottbus und restaurierte an der Seite von Bernd Hasselmann für den Zeitraum von drei Monate in niederbayrischen Kirchen. Als Stadtzeichner nahm er sich 1993/94 den Stadtbild-Veränderungen der Nachwendezeit in Cottbus an. Seit 1994 lebt er als Freiberufler in Limberg bei Cottbus und in Grosseto in der Toskana. Hier entstanden über Jahre Stadtansichten, in denen die sachliche Objektivität des Originals auf das leidenschaftliche und impulsive Ausdrucksbegehren des Malers traf. Ohne dass Rechn sich vom überwältigenden Licht und dem mediterranen Milieuzauber der Toskana verführen ließ, entstand eine satte und volle Malerei mit klangvollen Harmonien, in der Farbnuancen, Farbverlauf und Pinselduktus entscheidend waren, in der die Töne Graublau, Ocker und Braun dominieren. Es gibt keine harten Kontraste von Hell und Dunkel, nur zarte, subtile Übergänge. Impulse von Licht und Bewegung wurden zu optischen Formationen, Wirklichkeit und Empfindung verbanden sich zu lyrischer Bewegtheit.
Gesellschaftliches Engagement oder kulturpolitische Aktivitäten sind ihm inzwischen ebenso suspekt wie der Glaube an die Verbesserung der Welt durch Kunst. Die für ihn durchaus schmerzhafte Zäsur von 1990 dürfte ihn darin nur bestärkt haben.

Bis in die unmittelbare Gegenwart bleibt für Rechn die zeichnerische Grundlage die Voraussetzung für die Malerei. Auf die skizzenhafte Vorzeichnung mit Pinsel, gelegentlich auch mit Kohle, folgt die Untermalung mit Acryl sowie der Schicht um Schicht-Auftrag. Den deckenden Abschluss bilden reine Ölfarben. Dabei bewahrt er auch in jüngsten Arbeiten viel von der Spontaneität flüchtiger Skizzen in der Komposition. Mühelos schafft er mit dem zeichnenden Pinsel malerische Übergänge, die zu sich gegenseitig steigernden Farbklängen, aber auch zu eigenwilligen Farbverbindungen führen. Zuletzt entstanden Malereien auf Papier, die von über die Grenzen der reduzierten Form hinausgehenden raffinierten Farbklänge charakterisiert sind, die sich mit den über die Bildfläche strömenden Formbewegungen zu einem polyphonen Zusammenklang finden. Diese Figurationen von expressiver Gestik, vorgetragen in der vertrauten nervösen Pinselschrift, die eine lebhafte Differenzierung des Farbauftrags einschließt, stehen für ein neues Kapitel der expressiv-realistischen Malweise von Günther Rechn. In der Spontaneität des Malaktes verbinden sich sinnliche Wahrnehmung des Ich-Ausdrucks mit der Artikulation der über die Jahre angesammelten Erfahrungen zu anschaulichem Ausdruck, in den begrenzt zeitgenössische Malerfahrungen einfließen. Es ist und bleibt eine eigene Kunstwelt, die Günther Rechn sich geschaffen hat, in der die Gegenwart des Künstlers im Werk mittels handschriftlich erkennbarem Farbauftrag stets präsent bleibt und zum künstlerischen Bekenntnis wird.

© Herbert Schirmer

Ausstellung Schloss Spremberg 20152019-04-14T10:51:47+02:00

Verehrtes Publikum, lieber Günther Rechn,

„Bewegung in Zwischenräumen“ … ist der Titel dieser schönen Ausstellung des Cottbuser Malers Günther Rechn. Ich frage mich oft, wie so ein Ausstellungstitel zustande kommt. Maßgeblich ist natürlich der Inhalt, das ist klar. Aber wenn man so einen wie Rechn nimmt, hat man thematisch ja eher die Qual der Wahl. Doch … steht zuerst die Bildauswahl und sucht man anschließend nach einem Titel oder gab es in einer ruhigen Minute, beim Betrachten des eigenen Konvolutes die zündende Idee, zwei, drei knackige Wörter, eine griffige Zeile und danach wählt man die Bilder? Mit Sicherheit führen viele Wege zum Ziel. Wie in der Literatur ist ein Ausstellungstitel oft auf mehreren Ebenen zu verstehen. Er spielt mit Grenzen und Doppelbödigkeit; viel sagend und hintergründig. So kann ein Titel eine ganze Menge: von sehr allgemein gehalten bis hin zu verkopft. Auch darf er provozieren oder, je nach Thema, amüsant sein. In jedem Fall sollte er neugierig machen und das schafft er durch seine Mehrdeutigkeiten. „Bewegung in Zwischenräumen“ … Wer oder was bewegt sich? Wie schnell? Und von wo nach wo? Was sind die Zwischenräume? Ein Raum zwischen zwei anderen? Ein leerer Raum? Oder eher vollgestopft mit Dingen oder Gedanken? Schafft er Distanz oder ist er die Brücke? Vielleicht ist es ein Zeitraum … oder ein Tummelplatz für alles, was außerhalb exakter Begrifflichkeit liegt, wo Räume und ihre Bestimmung nicht ganz klar sind und da sind wir in der Kunst oft nah dran.

Was wir in dieser Ausstellung sehen, ist bewegt und bewegend. Das ist oft so bei Günther Rechn. Seine Stilmittel sind seinen Motiven charakterlich nicht unähnlich. Pastos und energisch, mit zügigem, aber sicherem Pinselstrich erleben wir Menschen und Tiere, die in Bewegung sind. Den Bildern liegt ein eigentümliches Flirren zugrunde. Er holt seine Geschöpfe auf die Leinwand und macht einen Schnappschuss draus, eine Momentaufnahme ohne kalkulierte Pose, in einer typischen, oft unfreiwilligen Gestik und Mimik. …

Der Ruhezustand ist keine Herausforderung. Leben bedeutet Bewegung, und wenn Ruhe, dann ist es im Rechn‘schen Sinne ein Innehalten, dem Unruhe vorausgeht und sich anschließt. Der Kater Ede, der tiefenentspannt pausiert, unbewegt und ausdauernd, ist dennoch ein Raubtier mit schnellem Sprung und zielsicherer Pfote. Vielleicht erleben wir ihn gerade in diesem besagten Zwischenraum.
Selbst Stillleben oder Landschaften atmen bei Rechn, sie sind voll Spannung und Energie – gleichfalls Momentaufnahmen. Quitten z.B. finden sich immer wieder in seinem Repertoire. Ihre Qualitäten liegen bekanntlich nicht nur in ihrer Schönheit. Kulinarisch sind sie bei gelungener Verarbeitung ein Leckerbissen, auch heilsame Wirkungen werden ihnen nachgesagt, und symbolisch stehen sie für Liebe, Glück, Frucht-barkeit und Unvergäng-lichkeit.

Diese schönen Früchte, die in ihrer vollen Reife so intensiv duften wie sie leuchten, sind auch hier auf der Leinwand kein bloßes Abbild, sondern ein Aufblitzen. Der Maler legt die ganze Konzentration auf die Früchte: Es ist das Dasein, es ist pure Natur, die vom Baum gepflückt weiterlebt und ihre Strahlkraft noch lange beibehalten wird.
Eines der bewegendsten Bilder dieser Ausstellung tritt nicht nur durch seine besondere Größe hervor. Die Formierung des Turmes – Rechn adaptiert des verschollenen Gemälde Turm der blauen Pferde des Expressionisten Franz Marc. Mehr als 20 Pferdeköpfe bannt er auf die Leinwand. Die schönen Tiere strotzen vor Kraft und Energie. Selbige Energie gibt es dann auch noch mal in Form von Windrädern im Hintergrund – ein doppelsinniges Spiel … Uns als Betrachter zieht Rechn beinahe mit in das Geschehen. Wir stehen vor dem Bild und blicken einer Herde Pferde entgegen, die sich gefährlich schnell auf uns zubewegt, sich aufbäumt, ungeduldig wiehert. Das Hufgetrappel ist fast hör- und spürbar. Die Spannung in diesem Bild erreicht ihren Höhepunkt und droht jeden Augenblick, sich zu entladen. Elegant und kraftvoll zeugt dieses Gemälde von der Liebe des Malers zu diesen Tieren.

Aber es sind nicht nur diese Tiere, die ihn so sehr beeindrucken, dass sie auf große und kleine Leinwände und zahllose Papiere finden. Im Grunde ist ihm alles, was kreucht und fleucht, was kräht, bellt, mauzt oder summt den Pinsel oder den Zeichenstift wert. Sie sind ein dankbares Motiv, da sie so unverstellt und ehrlich sind. Sie handeln immer intuitiv, auch die Hunde, trotz ihrer mehr oder weniger geglückten Erziehung durch Menschenhand. Das Bild „Verwirrte Meute“ bannt Hunde auf die Leinwand, die bei Gefahr, Bedräng-nis oder Unsicherheit ihrer Natur nach so reagieren, dass auch der Mensch es bei ihrem Anblick mit der Angst bekommt.

Doch er zeigt auch die sanften, verspielten Charaktere, denen der Schalk im Nacken sitzt und durchweg der beste Freund des Menschen sind. Es gelingt dem Maler, typische tierische Charaktereigenschaften einzufangen. – Aber nicht etwa in ihrer Allgemeingültigkeit, sondern eben in ihrem Moment und vor allem in ihrer Persönlichkeit. Rechn klammert konventionelle Sehgewohn-heiten aus und behandelt Tiere auf der Leinwand nicht anders als den Menschen. Er zeigt sie nicht von ihrer Schokoladenseite, sondern trifft sie in einem Augenblick, der sowohl absurd als auch unbequem sein kann. So kommen wir als Betrachter nicht umhin, zu schmunzeln, weil wir uns erkennen; und vor allem zu staunen, wie treffend, klug und demütig Günther Rechn die Geschöpfe eines kleinen Fleckchens Erde einfängt.
Manchen seiner Bilder ist eine gewisse Komik nicht abzusprechen. Wenn man eben genau hinschaut, wie er es tut, und ohnehin ein Humorist ist, bettet man gern kleine Skurrilitäten oder Unausgewogenheiten des Le-bens ein in seine Arbeit. Die Bühne ist ein Spielplatz für heiteres und komisches Tun bei äußerster Ernsthaftigkeit. Ihr Spiel ist dennoch Maske und Ironie und der Tragik damit recht nah, womit sie der Gesellschaft den Spiegel vorhalten. Das tut auch Günther Rechn. Er spielt mit Überhöhungen und Absurditäten und ist nicht zimperlich, seine Figuren zu entblößen – im wahrsten Sinne des Wortes. Die Gaukler und Musiker, wie sie in den beiden „Maskerade“-Bildern zu sehen sind, blicken in ihrem Spiel ganz unverhohlen aus dem Bildgrund heraus. Die Tragik ist in Form des Totenschädels immer unter ihnen.

Günther Rechn ist ein Lausitzer Maler, oder besser – ein Maler in der Lausitz – was aber seine Sicht auf die Dinge nicht regional einschränkt. Im Gegenteil: Er reist, um andere Menschen, andere Landschaften, andere kulturelle Atmosphären einzufangen und schätzt gleichsam das Lebendige vor seiner Haustür. Er wagt sich an jedes Sujet, ist aber nicht beliebig. Er scheut nicht die Auseinandersetzung mit schwierigen Themen und hat dennoch die Größe, scheinbar banale Motive einzufangen, die gleichsam fesseln.
Die Mittel sind reduziert, ohne dabei auf nötige Details zu verzichten. Malerei und Grafik sind, was den Ausdruck des Motivs angeht, dabei gleichrangig, wenn auch nicht gleichartig. Was sich mit Farben und einem lebhaften Pinselduktus darstellen lässt, kann ebenso wirkungsvoll gezeichnet, getuscht oder gestochen werden. Sie werden in dieser Ausstellung beides, Malerei und grafische Arbeiten, bewundern können. Ich sage „bewundern“ nicht, weil ich ganz persönlich Liebhaber Rechn’scher Künste bin, sondern weil ich ganz objektiv gesehen die hohe Fertigkeit künstlerischen Handwerks schätze und bei Günther Rechn diese durch genaues Beobachten, lebenslanges Studium und mutige und kluge Kompositionen immer wieder vorfinde. Lithografien, Kaltnadelradierungen, Tuschen und Zeichnungen bieten den grafischen Anteil dieser Schau. Ich empfehle Ihnen sehr, bei den einen oder anderen Blättern genauer hinzu-schauen, den Augen Zeit zu geben, den Linien zu folgen, um schließlich das Ganze zu betrachten. Der schnelle Strich gibt ihnen etwas Leichtes, Skizzenhaftes und doch sind es eigenständige Werke. Sicher, präzise und beinahe mit analytischem Blick erfasste er die Anatomien der Tiere. Das beson-dere Verhältnis von hell und dunkel, von Licht und Schatten, von Sichtbarem und Unsichtbarem lässt sich mit grafischen Mittel besonders gut herausarbeiten!

Dieses Handwerk kommt nicht von ungefähr. Er ist durch wichtige Stationen gegangen, die ihn zu dem Könner machen, der er heute ist. Die Liebe zu Tieren und die frühen Anfänge mit dem Zeichenstift gehen dem voraus. Seine Lehrer an der Burg Giebichenstein in Halle, darunter wichtige künstlerische Vorbilder wie Hannes H. Wagner, Willi Sitte oder Lothar Zitzmann, bildeten ihn schließlich zu einem fundierten Handwerker aus, so dass er als Assistent an der Hoch-schule für einige Jahre selbst Aktzeichnen und Naturstudium lehrte. Schon lange benötigt er keine Modelle mehr, doch in die Natur geht er zum Skizzieren noch immer. Auch das bedeutet, in Bewegung blei-ben, das Auge schulen und den Geist nicht müde werden lassen. Mit über 70 Jahren, die im letzten Jahr mit zahlreichen Ausstellungen im Lande gefeiert wurden, gibt sich Günther Rechn auch in den nächsten Jahren keine Pause. Es gehört einfach zu Rechns Eigenheit, uner-müdlich zu schöpfen und Tag für Tag die Welt in sein Atelier zu holen.

Um zum Schluss noch einmal auf den Ausstellungstitel zu kommen: So eine Eröffnung ist vor allem auch dann gelungen, wenn die musikalische Untermalung zur Ausstellung und zum Titel passt. Die Stücke, die die Pianistin Saessak Shin ausgewählt hat, sind Bewegung und Lebendigkeit in vielen, wunderbaren Variationen. Nehmen Sie sie mit, wenn es gleich zu den Bildern geht, behalten Sie sie im Ohr, wenn Kraniche sich leise in die Lüfte begeben, sich Pferdestärken kraftvoll messen und die laut tönenden Gaukler durch die Räume ziehen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit

© Maike Rößiger , Kunsthistorikerin

Ausstellung Landesärztekammer Cottbus 20152019-04-14T10:33:14+02:00

Die Welt in das Büro geholt

Ausstellung des Malers Günther Rechn in der Landesärztekammer Cottbus

Wieder einmal ist der Cottbuser Maler Günther Rechn mit einer wunderbaren Ausstellung in seiner Heimatstadt zu erleben. Dieses Mal schlich er sich ohne Pomp und Pathos mit über 40 Arbeiten in die Landesärztekammer Cottbus, doch was er zeigt, ist mehr als das Lesen dieser Zeilen wert. Wer Günther Rechn kennt, weiß, was er an Themenreichtum erwarten darf. Es gibt im Grunde nichts, was es nicht wert wäre, gemalt zu werden: von Menschenbildern und Tieren, über Stillleben und Landschaften bis hin zu mythologischen Darstellungen und nicht zuletzt Gesellschaftskritik. Sein Welttheater lässt niemanden kalt, weil es scharf beobachtet, facettenreich und lebendig, hintergründig und weise, ernsthaft und komisch, tierisch gut und auch menschlich stets delikat ist. Auf Leinwand und Papier ist hier nun ausgewähltes Bildmaterial zu sehen, was von gewohnt hoher grafischer und malerischer Qualität ist. Klassiker, aber auch neue Arbeiten spielen miteinander und reiben sich aneinander. Allein Rechns Mammutwerk „Der Raub der Sabinerinnen“ ist einen Besuch wert. Der antike Mythos wird hier maßlos überhöht und doch auf das Wesentliche reduziert. Wir finden uns in einem Tumult an nackten Körpern wieder, der nahezu orgiastische Züge hat. Rechn ist nicht zimperlich, im Gegenteil, er stellt Figuren in anatomischer Perfektion zur Schau. Wir werden bei der Beobachtung einer Situation ertappt, die sich offenbar zwischen Gewalt und Erotik bewegt. Es ist eine Momentaufnahme – als hätte jemand in dieser Sekunde auf den Auslöser gedrückt. Er ist ein Meister darin, Menschen und Tiere so in der Bewegung festzuhalten, dass wir als Betrachter mitunter Zeugen skurriler Gestik und Mimik werden. Und wenn wir nicht wegschauen, drohen wir, mit in das wollüstige Bildgeschehen hinein gezogen zu werden. Zu gewagt für ein öffentliches Haus? Nicht für die Landesärztekammer, denn es gibt in dieser Ausstellung kaum ein menschlicheres Thema als dieses.

Doch es menschelt nie bei Rechn. Auge und Verstand sind wach genug, um den Bildgegenstand oder die Person zu hinterfragen und die Kompositionen immer wieder zu bearbeiten, bis das Bild von sich erzählt. Der Cottbuser Schauspieler Michael Becker ist ein guter Freund des Malers. Ein Porträt von ihm zeigt seine Auseinandersetzung mit sich selbst als Privatperson und mit seinem Alter Ego – dem Schauspieler. Der Beruf des darstellenden ist dem des bildenden Künstlers dabei nicht unähnlich. Es ist ein unaufhörliches Arbeiten an sich selbst, das Sich-Infrage-stellen, Bestätigung suchen, sich dem Publikum ausliefern, in dem man immer wesentliche Stücke von sich preisgibt. Rechn fängt diese Kontroverse in Haltung und Blick des Mimen sowie dem Bild im Bild gekonnt ein.

So lädt auch das eigene Spiegelbild bereits seit der Antike bildende Künstler dazu ein, sich mit sich und ihren Stimmungen auseinander zu setzen. Günther Rechn ist nun nicht nur für sich selbst eine beeindruckende Erscheinung. Groß gewachsen, mit Hut und kunstvollem Schnauzbart kennt man ihn, und als solcher blickt auch sein Selbstbildnis den Betrachter an. Da bilden zahlreiche, fast expressionistisch bunte Farben Antlitz und Hände. Sommerliches Licht fällt von rechts und gibt dem Ganzen trotz des ein wenig distanzierten Blickes eine freundliche Stimmung. Natürlich ist der Maler selbstkritisch und hat ernste Momente, aber sein Wesen ist das eines Humoristen, der auch über sich selbst lachen kann. Selten bin ich einem Künstler begegnet, der diese besondere Fertigkeit besitzt, seinen Werken eine dezente, aber spürbare Komik zu verleihen. Ob es Menschen sind, die Rechn als Typ oder reale Person
darstellt, Hunde, die er in ganz bestimmten Momenten einfängt und damit auch das Wesen des Tieres erfasst, oder Stillleben arrangiert, die eine ungewöhnliche Anordnung haben – vielen seiner Bilder wohnt dieser unvergleichliche Humor inne. Denn dieser lädt immer zur Auseinandersetzung ein, ob bei gesellschaftskritischen Themen oder ganz alltäglichen – auch wenn oder gerade weil wir uns sehr oft selbst erkennen, weil wir aus dem Bild heraus angeblickt werden, uns berührt oder gar beteiligt fühlen.

Jedes seiner Bilder wirkt wie ein Schnappschuss, ob Figurentheater oder Stillleben. Sie leben alle vom ungewöhnlichen Blickwinkel, von den angeschnittenen Motiven, von der Haptik und dem Glanz der Dinge, von ihrer Ausgewogenheit und Ruhe. Quitten sind ein häufig wiederkehrendes Motiv bei Rechn. Die Früchte, gepflückt in ihrer vollen Reife, behalten hier die frische Farbe bei. Sie kullern aus einem Korb oder ruhen in einer Schale, und es wird deutlich, worauf es hier ankommt, denn die ganze Konzentration liegt auf den Früchten: Es ist das Dasein, die Natur, und es ist dennoch kein Abbild, sondern vielmehr ein Aufblitzen. Durch Textur und Leuchtkraft werden die Quitten erhaben.

Günther Rechn hat natürlich seine Lieblinge, Dinge und Kreaturen, die ihn so sehr faszinieren, dass sie über Jahre hinweg Thema bleiben und nie langweilig werden. Die Quitten gehören zweifellos dazu, Amaryllisblüten, die so frisch scheinen, als wären sie gerade erst gemalt worden, am Himmel vorüberziehende Vögel, in ihrer Anmut festgehalten, und selbstverständlich Hunde in allen Variationen und Augenblicken. Als „Hundemaler“ ist er seit Jahrzehnten weithin bekannt. Er studiert diese Tiere und fasst seine Forschungsergebnisse in Bildern zusammen. Des Menschen bester Freund: er ist unverstellt und ehrlich, er handelt intuitiv und ist in seiner Loyalität dem Herrchen oder dem Frauchen gegenüber bedingungslos. Betrachten Sie die Bilder und Sie sehen die unterschiedlichsten Charaktereigenschaften und Emotionen: mal ist es die sprühende Freude, mal der Schalk im Nacken, mal gespannte Aufmerksamkeit, mal Übermut und auch mal Unberechenbarkeit.

Das Motiv kämpfender Hähne ist hierzulande und vor allem für uns Stadtmenschen ein seltener Anblick geworden. Rechn setzt hier nicht auf fliegende Federn und verletzte Körper, sondern auf Lebendigkeit, Kraft und Anmut, die diesen Tieren selbst in existenzieller Situation innewohnt. Deutlich blitzen in der Bewegung, die wie ein Tanz wirkt, die Farben aus ihrem Gefieder hervor.

Besuch ich ihn in seinem Cottbuser Atelier, sind viele dieser Bilder gerade in Arbeit. Mehrere Staffelleien stehen neben- oder hintereinander, am Boden warten Bilder darauf, beendet zu werden oder sind für die nächste Ausstellung zurechtgestellt. Es duftet nach Ölfarben und Terpentin, gemischt mit dem Rauch seiner Zigarillos, denn der Maler arbeitet unbändig und ununterbrochen. Papiere mit Skizzen und Zeichnungen, aber auch soeben gefertigte Radierungen und Tuschen füllen die verschiedenen Arbeitsplätze im Atelier. Dazu läuft meist klassische Musik. So war das schon immer und so wird es auch noch lange Jahre bleiben. Nur jetzt, im Frühling, kann man ihn häufig in seinem Garten, der dem Wohnatelier vorgelagert ist, sehen. Fachkundig erklärt Rechn mir seine besonderen Stücke. Die Liebe zu Pflanzen, vor allem alten und ungewöhnlichen Gewächsen, zeigt sich in einer üppig bewachsenen Fläche. Das Gespür für Ausgewogenheit und Schönheit liegt also nicht nur im künstlerischen Schaffen.

Musik scheint schöpferisch arbeitende Menschen zu beflügeln, ihre Horizonte zu erweitern und Stimmungen zu verstärken. Und gelegentlich kommt es vor, dass das musikalische Thema Eingang in die Arbeiten findet oder sogar zum Thema gemacht wird. Paolo Conte, der italienische Jazzmusiker und Sänger, gehört zu Rechns musikalischen Lieblingen. Einige der Grafiken, die in der Ausstellung zu sehen sind, nennt Rechn schlicht „Zu Liedern u. Gedichten von Paolo Conte“. Sie handeln – natürlich – von Menschen allgemein, von Männern und Frauen im Speziellen, von zwischenmenschlichen Beziehungen, von Liebe, Gesellschaft, dem Unterwegssein. Die schönen Tusche-Arbeiten zeigen einmal mehr das zeichnerische Vermögen des Malers. Kontrastreich und in zügigen Handbewegungen erobern die Figuren das Papier. Durch die Andeutung von Konturen und Auslassungen von Fläche holt er diesen Kontrast am stärksten hervor. Körper oder Körperteile werden durch ihre getuschten Schatten sichtbar. Die Qualität liegt in der Genauigkeit von schnell gesetzten Linien. Ein weiteres grafisches Meisterstück ist das große Papier, das irgendwann einmal einen Tisch bedeckte. Dinge werden darauf abgestellt, Abdrücke hinterlassen, es entstehen kleine Skizzen bei Gesprächen – Papier ist Papier! Es wird übermalt, korrigiert, hinzugefügt und verschiedene Techniken ausprobiert, an manchen Stellen wird das Papier sehr durchlässig, an anderen durch verschiedene Untergründe immer dicker. Die vielen kleinen physiognomischen Studien von Menschenköpfen, Hunden und Pferden ergeben nun ein großes, herrliches Bild.

Was dem vorausgeht, ist das jahrzehntelange Studium mit dem Zeichenstift, der gekonnt gesetzt werden will, aber nur das zeigt, was nötig ist. Seine Lehrer auf der Burg Giebichenstein in Halle, worunter besonders Willi Sitte als beeindruckender Zeichner nachhaltig wirkt, haben großen Anteil an Rechns Können und Bildauffassung, dem das genaue Beobachten vorausgeht. Darin ist Rechn ein Meister, der mit schnellem Strich das Wesentliche einer Figur herauskehrt. Er benötigt schon lange keine Modelle mehr, um grobe Skizzen in vielschichtige, spannungsreiche Grafiken und Ölbilder umzuwandeln. Zahllose Ausstellungen hat Rechn bis heute erlebt, Preise gewonnen, Reisen gemacht, die ihn mit Kulturen und Menschen zusammenbrachten. Italien, das Land, welches er für viele Jahre als zweiten Arbeitsort wählte, hatte eine immense Bandbreite an Landschaften mit außergewöhnlichem Licht und einzigartigen Menschen für ihn. Aber auch vor der eigenen Haustür gibt es mit dem kleinen Garten und den Hunden, der Familie, den Lausitzer Parks, den Zugvögeln und dem, was die Natur an einfachen wie besonderen Schätzen preis gibt, viele Themen.

Nun also strahlen die Gänge und Hallen der Landesärztekammer Brandenburg in Cottbus wieder in farbenprächtiger Manier und mit bewegenden Motiven. Es ist ein bisschen wie ein Gemischtwarenladen – für jeden dürfte etwas dabei sein. Im Gegensatz zur virtuellen Welt, die gerade in einem solchen Arbeitsumfeld mit komplizierten und durchaus trockenen IT- und Verwaltungsprozessen zu tun hat, dürfte das farbenfrohe Welttheater des Günther Rechn eine willkommene Abwechslung sein, die nicht nur dem Personal vorbehalten ist, sondern von jedermann besucht werden darf.

© Maike Rößiger, Kunsthistorikerin

Ausstellung Volkswagen-Kundenzentrum Kassel 20142019-04-14T10:36:09+02:00

Sehr geehrte Damen und Herren, lieber Günther Rechn,

ich freue mich sehr, an diesem für eine Kunstausstellung durchaus außergewöhnlichen Ausstellungsort eine Laudatio auf den Cottbuser Maler Günther Rechn halten zu dürfen. Ich hatte neben Galerien, Schlössern und Museen auch schon Kunstausstellungen in Kanzleien, Kirchen, Banken und sogar auf einem Friedhof begleitet, aber im Kundenzentrum eines Autoherstellers zu sprechen, ist für mich wieder eine neue Erfahrung.

Das Auto gehört zum Alltag vieler Menschen. Die meisten fahren es, weil sie irgendwie von A nach B kommen müssen und nicht, weil sie das Auto um des Autofahrens fahren, sozusagen aus reinem Genuss. Leistet man sich einen Neuwagen, der ein ansprechendes Design hat, der glänzt, außen noch unversehrt und innen sauber ist und nach „neu“ duftet, wird man diesen eine gute Weile sehr bewusst fahren und das Neue mit allen Spielereien zu schätzen wissen. Leider hält dieser Zustand nicht ewig und er wird irgendwann zu einer alltäglichen Angelegenheit.
Wie kriegt sie jetzt den Bogen zur Kunst, werden Sie sich vielleicht fragen. Nun, ob sie es glauben oder nicht, es gibt tatsächlich einige Gemeinsamkeiten oder vergleichbare Elemente, die für eine Ausstellung von Autos und Malerei sprechen. Für die einen mögen diese Gemeinsamkeiten an den Haaren herbeigezogen sein, für mich hingegen sind es spannende Analogien, wie wir sie immer wieder im Leben oft ganz unerwartet finden. Gemeinsamkeiten, Ergänzungen, aber auch ein Austausch von Gegensätzen.
Zunächst ist hochwertige Kunst für die, die sie erwerben oder nur bewundern und betrachten, ebenfalls Luxusgut, etwas, was mit Genuss zu tun hat – wie ein sehr hochwertiges oder besonders altes Auto. Dabei kann die Kunst
ebenfalls neu oder alt sein. Sammler, die sich mit ihr umgeben, sind denen nicht unähnlich, die auch Autos sammeln. Sie gehören zu der Spezies, die diese, ob alt oder neu, bewusst fahren oder eben Kunst genießen können.
Diese Ausstellungsfläche, die sonst Karosserien vorbehalten ist, wird mit der hier gezeigten Kunst zur Galerie. Oder ist sie das nicht ohnehin schon? Wo ist da der Unterschied zwischen der Präsentation von Autos und der Präsentation von – in diesem Fall – Malerei? Zugegeben, die Kombination von beidem kommt nicht sehr häufig vor. Falls Sie sich schon ein wenig umgesehen haben, mögen Ihnen die Motive auf den ersten Blick nicht viel mit Fahrzeugen zu tun haben. Doch schaut man über den Tellerrand und lässt seine eigene Phantasie etwas spielen, lassen sich bei einigen Werken erstaunliche Gemeinsamkeiten mit dem Element Automobil erkennen. Und hierfür, aber auch für alle anderen Bilder möchte ich Ihnen meine Augen leihen und meine Sicht der Dinge schildern.
Günther Rechn ist ein Lausitzer Maler, oder besser – ein Maler in der Lausitz – was aber seine Sicht auf die Dinge nicht regional einschränkt. Im Gegenteil: Er reist, um andere Menschen, andere Landschaften, andere kulturelle Atmosphären einzufangen und schätzt gleichsam das Lebendige vor seiner Haustür. Er wagt sich an jedes Sujet, ist aber nicht beliebig. Er scheut nicht die Auseinandersetzung mit schwierigen Themen und hat dennoch die Größe, scheinbar banale Motive einzufangen, die gleichsam fesseln. Das, was Sie in diesen Räumen vorfinden, ist ein winziger, aber dennoch repräsentativer Ausschnitt seiner Malerei. Entdecken Sie Ästhetik und Schönheit, farbliche Ausgewogenheit, Kraft und Eleganz, Ruhe, Coolness und Anspruch. All das trifft zugleich auch auf die anderen Ausstellungsstücke zu: die Automobile! – womit wir wieder bei Gemeinsamkeiten und dem Austausch sind.

Autodesigner fertigen die ersten Skizzen und Entwürfe nach wie vor von Hand. Dafür müssen sie das Handwerk eines Formgestalters beherrschen; designen aber auch den Innenraum der Fahrzeuge und wählen später Materialien und Lackfarben aus. Die Herangehensweise des Malers Günther Rechn an seine Werke ist dem gar nicht so unähnlich: Sie ist ein Skizzieren mit der Konzentration auf das Motiv im Raum, ein Umsetzen in Farbe und Kontrasten und das Herauskehren von Bewegung und Lebendigkeit, selbst wenn es sich um ein Stillleben handelt. Es ist die Selbstverständlichkeit und Leichtigkeit, mit der Rechn Dinge und Lebewesen auf seine Leinwänden holt, so dass es wie eine Fingerübung daherkommt. Er ist noch einer der alten Schule, die das lineare Zeichnen mit allen Konsequenzen trainierten, bis sie es so verinnerlichten, dass sie kein Modell mehr nötig haben. Die Kunsthochschule der Burg Giebichenstein in Halle bildete ihn mit namhaften Lehrern wie Hannes H. Wagner oder Willi Sitte darin aus und gab ihm Grundlagen mit auf den Weg, die er im Laufe eines Malerlebens perfektionierte. Es ist das jahrzehntelange Studium mit dem Zeichenstift, der gekonnt gesetzt werden will, aber nur das zeigt, was nötig ist. Den Menschen schaut er genau ins Gesicht und kehrt gelegentlich in seiner ihm eigenen Überhöhung absurde Situationen oder defekte zwischenmenschliche Beziehungen heraus. Es ist der Spiegel, den er uns vorhält, so auch bei einem der Hauptwerke dieser Ausstellung „Erlkönigs Töchter“. Jedem Autokenner ist das Phänomen „Erlkönig“ ein Begriff, wobei die meisten von ihnen nicht den alten Goethe vor Augen haben. Rechns unverstellter Blick deckt auf, stellt bloß, rückt sehr nah und legt den Finger da in die Wunde, wo es ihm wichtig ist. Goethes berühmteste und durchaus verstörende Ballade trifft hier auf die gleichnamigen Prototypen von Autos, die sich mit getarntem Äußeren und riskanten Testfahrten schnell in einer gefährlichen Grauzone bewegen. Der Fiebertraum des Kindes aus der Ballade steht mit Verführung, Rausch und Gewalt den schemenhaften Autos auf einer schnellen Straße entgegen. Der anzügliche Sündenbabel und das manchmal zweifelhafte Vorgehen der Autoindustrie, um die Konkurrenz in Schach zu halten, wächst sich auf beiden Seiten zu einem Geschwindigkeitsrausch aus.

Auch das monumentale Werk „Tanz um das Goldene Kalb“, welches Sie am Eingang finden, gehört ebenfalls in diese Kategorie Gesellschaftskritik. Wenn Sie dieses Bild betrachten, werden Sie staunen, wie viel Skurrilität,
Überzeichnungen, aber auch Wahrheiten sich darin finden und damit auch eine Parallele unseres Zeitgeistes, unserer Handlungsmuster – zugespitzt natürlich. Auf der einen Seite des Zauns das Schwelgen im Überfluss, sinnentleert in dieser Welt zu stehen, sich gierig auf immer mehr zu stürzen, immer höher hinaus zu wollen, sich größer zu machen, als man ist, um sich im Tanz ums goldene Kalb selbst zu feiern, während jenseits des Zauns der Crash längst stattgefunden hat. Man muss nicht bibeltreu sein und die Geschichte Moses kennen, um dieser Metapher der Verehrung von Reichtum und Macht begegnet zu sein.

Günther Rechn ist ein ausgezeichneter Kenner menschlicher und tierischer Physiognomien. Er hält beide oft so in der Bewegung fest, dass wir als Betrachter das Gefühl bekommen, die Szene vor Ort mitzuerleben und bei schnaubenden Stieren, aufspringenden Hunden oder kämpfenden Hähnen lieber gern mehrere Schritte zurückgehen möchten. Hinzu kommt die faszinierende Mischung aus der gewählten Perspektive, einem flirrenden Licht und der eingefangenen Stimmung. Wenn Sie sich umsehen, finden Sie viele scheinbar banale Motive, die jedoch eine unerklärliche Verbindung zum Betrachter herstellen. Selbst die Szenerien, in denen menschliche Figuren auftreten, drängen sich thematisch nicht in den Vordergrund, sondern fangen sie scheinbar willkürlich ein, so dass die Bewegungen in einem ungewöhnlichen Moment festgehalten werden. Rechn spielt mit unseren Sehgewohnheiten, unserer Phantasie und unserer Neugierde, wenn der Bildrand, statt zu Rahmen, zentrale Motive provokant abschneidet. Auch stellt er dabei nicht die Figuren bloß, sondern vielmehr uns als Betrachter, denn wir werden beim Zuschauen ertappt. So sind wir Zeugen skurriler Gestik und Mimik und fühlen uns zugleich berührt oder gar beteiligt, weil wir aus dem Bild heraus direkt angeblickt werden.

Tiere – für ihn Zeit seines Lebens ein besonderes Thema und als Malender ein dankbares Motiv, da sie so unverstellt und ehrlich sind. Sie handeln immer intuitiv, auch die Hunde, trotz ihrer mehr oder weniger geglückten Erziehung
durch Menschenhand. Als ausgesprochener Hundekenner gelingt es dem Maler, ihren rasse-typischen Charakter und sogar ihre augenblicklichen Emotionen einzufangen: mal ist es die sprühende Freude und der Schalk im Nacken, mal gespannte Aufmerksamkeit und Neugierde und eben auch mal Unberechenbarkeit. So finden Sie in dieser Ausstellung ein paar herrliche Exemplare dieser Gattung Tier. Vom unbekümmert dreinschauenden Mops bis hin zu der aufspringenden Meute.

Die Formierung des Turmes – eine Adaption des verschollenen Turm der blauen Pferde des Expressionisten Franz Marc – ist ein weiteres Hauptwerk dieser Exposition. Die tatsächlichen Pferdestärken auf diesem Großformat stehen – als weiteres Gleichnis in dieser Auto-und-Kunst-Kooperation – den motorbetriebenen PS dieses Hauses gegenüber: vor Kraft und Energie strotzend, sich aufbäumend und zum Start formierend ist das Hufgetrappel und ungeduldige Wiehern, ähnlich aufheulenden Motoren, beinahe hörbar. Die Spannung in diesem Bild erreicht ihren Höhepunkt und droht jeden Augenblick, sich zu entladen. Sie finden in dieser Ausstellung noch weitere Pferdestärken auf Leinwänden, die elegant und kraftvoll von der Liebe des Malers zu diesen Tieren berichten.
Groß und energiegeladen sind auch die Silberreiher. Wie ein Aufatmen oder ein Entfalten eines Fächers fliegen die großen Vögel auseinander. Das Blau des Wassers und das des Himmels verleihen dem Motiv eine außerordentliche Frische und Heiterkeit. Dieses Kammerspiel ist ein kleines Naturereignis, das der Maler hier einfängt. Es gelingt ihm, diese Geschöpfe in ihrer Eleganz und Schönheit darzustellen und die fließenden Bewegungen und den Wind ihres Flügelschlags fast erlebbar zu machen.
Dann sind da die Stillleben wie die Hagebutten, das üppige Blumenbouquet mit dem Titel Geburtstag oder der getrocknete Strauß aus Wildkräutern. Auch sie erhalten ihre Bühne. Sie strahlen bei aller Bescheidenheit eine ungeheure Kraft und Natürlichkeit aus. Rechn lenkt die Konzentration auf das pastos gemalte Motiv, in dem er den Hintergrund reduziert. Ein Stilmittel, wie es immer wieder in seinen Bildern zu finden ist.

Und schließlich gibt es die Landschaften, die ihn zu finden scheinen, wenn er auf Reise geht, ob in der Lausitzer Heimat oder über die Landesgrenzen hinaus. In den Bildern Italiens fängt Rechn genau das ein, was wir so lieben, wenn wir Italien bereisen: diese Stimmung, das Alter von Städten und Dörfern, das an ihren Fassaden und Straßen abgelesen werden kann, gepaart mit der flirrenden Wärme und dieser Zufriedenheit ihrer Bewohner. Letztere sind ebenfalls eine seiner Spezialitäten. Menschentypen, liebgewonnene Freunde, Familie.

Verehrtes Publikum, die Welt des Günther Rechn und die Welt der Automobile haben an diesem Ort und für die kommenden Wochen einen interessanten, spannenden Dialog vor sich. Die Idee, Initiative und Organisation für diese Ausstellung ist vor allem Ulrich Evers zu verdanken, der hierfür mit viel Leidenschaft und Engagement alle Hebel in Bewegung gesetzt hat. Das wirklich hervorragende Ergebnis, meine Damen und Herren, dürfen Sie sogleich bestaunen. Günther Rechn ist im übrigen ein sehr geselliger Mensch. Sprechen Sie ihn ruhig an oder genießen Sie einfach die Energie, die von diesen Bildern ausgeht und lauschen Sie dem Dialog von Auto und Kunst.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

© Maike Rößiger, Kunsthistorikerin

Ausstellung Galerie Haus 23 Cottbus 20142019-04-14T10:41:44+02:00

Liebes Publikum, verehrte Gastgeber, liebes Geburtstagskind,

gibt es für einen Künstler -ob bildender, darstellender, musizierender -einen schöneren Rahmen, seinen Geburtstag zu feiern? Eine Ausstellung in diesem Fall, die man mit seiner Familie, seinen Freunden und einem kunstsinnigen, dankbaren und neugierigen Publikum eröffnet, ist etwas besonders Feierliches. Es ist der Lohn der Arbeit, die der Ausstellung seit Tagen vorausgeht, aber gewissermaßen immer auch der Lohn für viele Jahre, denn diese sind heute in Form von viel Papier mit etwas drauf versammelt. Was da so drauf ist, werde ich Ihnen gleich noch erzählen -zumindest werde ich darüber erzählen, sehen müssen Sie schon selbst. Vor gut einer Woche stand ich auch vor einem Rechn-Publikum, da waren sicher viele von Ihnen dabei. Diese Schau und ihre Resonanz waren überwältigend. Was wir sahen, war ein großes, malerisches Welttheater, das nahezu alle Themen durchschritt und aufgrund der Menge viel Zeit von Ihnen abfordert. Aber eine lohnenswerte Investition, wie ich finde, denn sein Theater ist eine wahre Fundgrube. Heute sehen Sie einen ganz anderen Rechn, den virtuosen Zeichner, den Studioso, den Meister der Zwischentöne. Und für diese Arbeiten ist das Ambiente der Marie mit ihrem rauen Äußeren und dem unperfekten, unangepassten Auftreten und knarrenden Dielen gerade richtig. Man möchte meinen, dass dies hier die Vorstufe zu Bildern sei, wie sie im Rathaus ausgestellt sind; dass einer Skizze irgendwann die Leinwandarbeit folgt. Das ist richtig und falsch zugleich. Viele der Arbeiten hier sind ganz klar Studien zu Themen, die später in ein großes farbiges Format übergehen. Dabei entstehen in Günther Rechns Fall unzählige, die manchmal wie ein Daumenkino aneinandergelegt werden könnten und Bewegungsstudien von Menschen, Pferden oder Vögeln darstellen. Es gibt aber auch Blätter, die in ihrer Gestalt vollkommen setzt. Das Papier ist nämlich ein überaus dankbarer Bildträger, der ungeheuer kompatibel ist und der mit den ungewöhnlichsten oder besser unkonventionellsten Grundierungen und Schattierungen erstaunliche Räume schafft. Ich denke da z.B. an Rotwein-und Kaffeeflecken, Vergilbungen, aufgeweichte, faserige, verfärbte Stellen, die oft qua Zufallsprinzip die Form des künftigen Motivs bestimmen. Auch bestimmen die vielen, verschiedenen Papierarten durchaus auch die Qualität der Arbeit und damit wiederum das Motiv -das reicht von rein weißem Zeichenpapier, über den festeren Skizzenblock oder dem saugfähigen Aquarellpapier, bis hin zu rauem Bütten oder pergamentartige, durchscheinende Sorten. Schließlich ist die grafische Technik ein maßgeblicher Faktor. Je nach Verfahren sind feinste Linien oder entscheidende Farbverläufe möglich, schlichte Bleistiftzeichnungen, aufwendige Kaltnadelradierungen oder das Spiel mit Tinte oder Aquarellfarben. Rechn nutzt die ganze Bandbreite und wählt mit sicherem Gespür daraus die passende Übersetzung für seine Idee. Etwas, was in der Natur grafischer Arbeiten liegt, ist das besondere Verhältnis von hell und dunkel, von Licht und Schatten. Selbstverständlich lässt sich dies auch mit hart gegeneinander gesetzten Flächen und Formen bei Öl, Tempera oder Acryl auf Leinwänden erzeugen. Aber ein Stilmittel der Grafik, das eben diesen Kontrast am stärksten hervorkehrt, ist die Auslassung von Flächen. Körper oder Körperteile werden durch ihre gemalten, gezeichneten oder gravierten Schatten sichtbar. Einer wie Rechn erzeugt dadurch enorme Tiefe im Bild, es entstehen Vorder-und Hintergründe bei perspektivischer Genauigkeit. Ich erzähle

Ihnen das nicht, weil ich so großen Spaß Arbeiten geradezu dazu einladen, das Handwerk dahinter zu entdecken, und sie sind es zudem natürlich wert, eingehend betrachtet zu werden, manche -und das ist keine Wertung -zeigen ihre Qualität erst auf den zweiten Blick. Handwerk, nämlich, ist und war da, wo er es erlernte, die Basis von allem. Die Burg Giebichenstein in Halle ist berühmt dafür. Rechn fing nicht erst da mit dem Zeichnen an, wahrscheinlich konnte er schon mit dem Zeichenstift umgehen, noch bevor er laufen konnte … Aber die Lehre Willi Sittes und die der anderen, wie Lothar Zitzmann und Hannes H. Wagner, hatten immensen Einfluss auf seine Ausbildung. Faszinierend stehe ich jedes Mal vor diesen Blättern, die ich ebenso schätze wie seine Leinwandarbeiten. Die „tierische“ Ausstellung auf Gut Geisendorf vor rund einem Jahr zeigte neben einer großen Zahl von Ölgemälden auch einen kleinen Ausschnitt an Tierstudien. Darunter die kleinen Skizzen zum großformatigen Silberreiher-Bild, das Mittelpunkt dieser Exposition war. Die Tusche-Arbeiten haben mich lange festgehalten. Die Qualität lag in der Genauigkeit von schnell gesetzten Linien. Sicher, präzise und beinahe mit analytischem Blick erfasste er die Anatomien graziler, auseinanderfliegender und schattenwerfender Vögel. Gleiches findet sich auch hier, wenn auch nicht in denselben Motiven, aber die Präzision und die Ausgewogenheit bleiben in allen Blättern bestehen. Seine Liebe zu den Tieren und damit die Achtung vor der Natur zeigt sich in jeder Linie, in jeder festgehaltenen Bewegung auf dem Papier. Er erfasst ihr Wesen, die Eigentümlichkeiten oder Charakter­eigenschaften, die ihnen in erster Linie von uns Menschen zugeschrieben wurden, mit Humor und Ernsthaftigkeit zugleich.

auf Titel, was Sie wiederum fordert, das Motiv zu entdecken. Aber auch hier ist, wie auch in der Rathaus-Ausstellung, aus vielen Bereichen etwas dabei. Landschaften, Architektur, einzelne Figuren, Porträts, Menschengruppen, bühnenbezogene Situationen, mythologische Themen, Akte und Erotisches und sogar Karikaturen. Italien ist natürlich immer dabei. Dieses Land übt seit Jahrhunderten eine besondere Faszination auf Künstler aus. Es scheint in der Lage zu sein, seine Geschichte, seine Kultur und seine Menschen über Jahrhunderte zu konservieren, dazu die Wärme, der Wein, die Musik, das Meer und diese unbeschwerte Lebensart. Das kann nicht nur ein Klischee sein.

Günther Rechn zeigt uns farbintensive, sonnengetränkte Häuserwände, dazu stahlblaue Himmel im Hintergrund, als würde dort direkt das Meer warten. Manche Szenerien sind wie geträumt, wie in einer Erinnerung, bei der sich vieles nicht mehr scharf stellen lässt. Das ist die Qualität des Aquarellierens, wenn die Umrisse von Gebäuden und der Natur ineinander übergehen, fließend sind, als gäbe es auch auf dem Papier dieses Hitzeflimmern, sein könnten, die nicht spektakulär sind, aber auf dem Blatt doch ihre unum­stößliche Berechtigung haben. Besonders interessant sind dabei Blätter, die wild aquarelliert sind. Die farblichen Überlagerungen als Hintergrund könnten vom Gewitter bis zu dichten Wäldern alles sein. Die zarten Federzeichnungen darauf verleihen dieser Abstraktion schließlich die Gegenständlichkeit. Eine wichtige Serie sind Ovids „Metamorphosen“, mit denen er sich über Jahre hinweg beschäftigt und wovon hier nur ein Bruchteil zu sehen ist. Man muss genau hinschauen, um den schnellen Linien zu folgen und daraus Figuren zu bilden. Rechn arbeitete das ganze alte Werk durch, jedes Bild, das beim Lesen in seinem Kopf entstand, wurde zu Papier gebracht. Die voll­endeten Verse des Dichters tragen in eine Zeit, die uns phantasiereich und sagenhaft überliefert ist. Der menschenfressende Minotaurus mit dem Kopf eines Stieres; Iason pflügt mit den feuerhauchenden Stieren das Feld … Skizzenhaft, andeutungsvoll und wie aus einer tatsächlich anderen Zeit wirken die kleinen, erdigen, dicken Blätter. Wieder eine Fundgrube ganz besonderer Arbeiten.

Und nicht weniger interessant – für den einen oder anderen ist der Zugang dazu sogar etwas leichter als zu Ovid – sind die erotischen Blätter. Die mit der Rohrfeder gezeichneten Darstellungen treiben einem eine leichte Röte ins Gesicht: Das ein vielseitiger Zeichner wie Günther Rechn keine Tabu-Themen kennt, sollte wohl klar sein! Seine Figuren, die in expliziten Positionen gezeigt sind, sind unerschrocken, genießend, Gesichter …

Manchmal ist auf den ersten Blick nur ein Knäuel auszumachen, und man muss Auge und Verstand anspornen, die ineinander verschlungenen Gliedmaßen zuzuordnen. Ein großes Vergnügen, das darf ich zugeben! Was hierbei allerdings besonders deutlich wird, ist die anatomische Genauigkeit der Körper mit all ihren perspektivischen Verkürzungen, auch wenn an manchen Stellen nur andeutungsweise gezeichnet wurde. Diese Blätter haben eine ganz eigene Ästhetik, kleine, aparte Pornografien mit feinen Überzeichnungen und einem Augen­zwinkern versehen. Was Ihnen sicher nicht entgehen wird, sind die drei Großformate. Eigentlich sind es -wie ein Puzzle -viele kleine, die ein großes ergeben. Diese Arbeiten haben kein konkretes Konzept -höchstens das, dass das Papier irgendwann voll ist und die Dinge, so individuell sie auch sind, miteinander harmonieren und ein ausgewo­genes Bild ergeben. Im Grunde, wenn ich es mir recht überlege, ist es ein ziemlich gutes Konzept … Stellen Sie sich vor, da steht ein großer Tisch, der zum Schutz mit einem großen Bogen Papier oder eine Art Tuch bedeckt ist. Dinge werden darauf abgestellt, Abdrücke hinterlassen, es entstehen kleine Skizzen bei Gesprächen – Papier ist Papier – physiognomische Studien von Menschen, die aus allen möglichen Himmelsrichtungen auf dem Papier erscheinen. Dazwischen Tiere, Ausschnitte von Landschaften, dann wird versehentlich Tee verschüttet, Kaffee oder Rotwein tropfen auch noch drauf … Es wird übermalt, korrigiert, hinzugefügt und verschiedene Techniken ausprobiert, an manchen Stellen wird das Papier sehr durchlässig, an anderen durch verschiedene Untergründe immer dicker. Und das ist das Ergebnis -ein immerwährender Prozess und doch ein komplexes Werk, ungeplant, aber mit Struktur. Es macht Spaß, sich damit aufzuhalten, es ist wie ein Wimmelbild, auf dem sich ungeheuer viel entdecken lässt.

Liebes Publikum, entdecken Sie nun die Ausstellung. Erfreuen Sie sich an den herrlichen Linien, den Figuren, an Licht und Schatten und am Meister selbst.
Du, Günther, mögest niemals aufhören, die Welt für uns festzuhalten. Wir danken Dir! Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag!

© Maike Rößiger, Kunsthistorikerin

Ausstellung Rathaus Cottbus 20142019-04-14T10:37:24+02:00

Sehr geehrter Bürgermeister, verehrtes Publikum, mein lieber Günther Rechn,

das letzte Mal, dass ich vor einem Publikum in dieser Größenordnung stand, war bei einer Ausstellungseröffnung im vergangenen Sommer an der Ostseeküste in Wustrow. Das waren aber drei Künstler: Die Maler Günther Rechn, Jürgen Leip-pert und der Bildhauer Steffen Ahrens. Auch Vattenfall hat oft große Ausstrah-lungskraft, aber so viele interessierte Menschen hier zu sehen, ist mein ganz per-sönlicher Rekord – wenn es auch nicht mein Verdienst ist.

Ich falle mal gleich mit der Tür ins Haus: Günther Rechn feiert in der nächsten Woche seinen 70. Geburtstag. Weder diese Ausstellung noch die in der Galerie „haus23“ am kommenden Freitag sind eine Retrospektive. Denn eine Retrospek-tive ist ein Rückblick auf die Jahrzehnte eines Künstlerlebens, auf ein Gesamt-schaffen, das Veränderung und Entwicklung zeigt. Rechn zeichnet und malt aber nach wie vor so viel, dass man mit dem Ausstellen eigentlich nicht hinterher-kommt. Die Retrospektive hat also noch lange Zeit. Aber so ein schöner, runder Geburtstag darf ja dennoch gewürdigt werden. Daher gibt es in diesem Jahr noch einige weitere Rechn-Ausstellungen in Deutschland – man könnte direkt eine Bil-dungsreise daraus machen, so viel sieht man von diesem Land und Rechns Kunst darin. Was unverändert bleibt – und das, sagen wir, vielleicht doch retrospektiv gesehen an die 50 Jahre – ist sein unverstellter, erheiternder, ironischer, detailge-nauer und auch manchmal ernsthafter Blick auf das Weltgeschehen. Dieses Welt-geschehen fängt beim flatternden Ohr eines tollenden Hundes an, geht hinüber zum aparten Balztanz der Kraniche, dann zu den gold leuchtenden Quitten, die bedeutungsvoll aus dem Karton kullern, verweilt bei schattenspendenden italieni-
schen Hinterhöfen, geht über zu Menschen, die in irgendeiner Form Eindruck hin-terlassen, hält inne bei dem eigenen kritischen Blick in den Spiegel, schlägt Brü-cken in mythologische Abgründe und endet schließlich auf der entlarvenden Büh-ne des Lebens mit Maskerade und einem großen Tusch.
Sie sehen, es gibt auf dieser Welt Dinge jenseits der RTL-Schlagzeilen, die, und mögen sie noch so banal erscheinen, ihren ganz eigenen, besonderen Wert haben und zumindest – oder Gott-sei-Dank – Günther Rechns ganze Aufmerksamkeit genießen.

Die Ausstellung zeigt 118 Bilder. Wenn ich zu jedem Bild 2 Minuten spreche, ste-hen wir 236 Minuten hier, das sind fast 4 Stunden. Ich könnte zu jedem Bild zwei-fellos etwas sagen, Sie würden aber zweifellos nicht mehr hier stehen …

So beschränke ich mich auf das Wesen seiner Kunst und picke mir ein paar wichti-ge Bilder oder Bildgruppen heraus. Aber welche sind die wichtigen? Nicht die Größe macht den Gehalt … sein Gehalt schon, wenn er verkauft, aber es gibt auch unter den mittleren und kleinen Formaten so viele Meisterwerke, so schöne, hin-tersinnige und erstaunliche Beobachtungen, dass der ideelle Wert eines Rechn-Bildes nach dem Motiv gemessen werden sollte. Es ist die Selbstverständlichkeit, mit der Rechn Dinge und Lebewesen auf seinen Leinwänden erscheinen lässt, wie eine Fingerübung, bei der die Bildinhalte gut durchdacht, wohl strukturiert, ma-kellos sind.

Dass Sie in der Ausstellung Tiere jedweder Couleur sehen, wird die meisten von Ihnen nicht überra-schen. Er war und ist ein hervorra-gender Tiermaler. Darunter finden sich neben furchteinflößenden,
zähnefletschend Hunden auch die sanften, anmutigen und freundlichen Vierbei-ner. Oder Stiere, die vor aufgewühltem Sand ihre Kräfte messen, dass man lieber einen Schritt zurück geht; Hähne, die sich ganz ähnlich verhalten und Revier und Hen-ne klären …

Es gibt aber auch zahlreiche Bilder, auf de-nen wirklich gar nicht viel los ist – um es mal salopp zu sagen – also im Sinne einer Dramatik oder hintergründiger, symbolischer Kraft. So führt Sie der Weg durch die Ausstellung z.B. an einem groß-formatigen, fast quadratischen, himmelblauen Bild vorbei, auf dem auf den ersten Blick nichts weiter zu sehen ist, als in Reihen angeordnete, leuchtende Punk-te: Zugvögel, die in großer Ent-fernung am Himmel entlang

ziehen. Dieses immense Bild hat eine unwahrscheinliche Leichtig-keit. Es ist nicht einmal minimalistisch, sondern schlichtweg die Wahl des Motivs, das es so simpel macht. Es strahlt durch die klare Struktur einer Sache, die sich die Natur überlegt und Rechn auf die Leinwand geholt hat.
Die Ausstellung hält viel für Sie bereit. Ein Gemischtwarenla-den quasi. Es gibt Motive, denen er mit viel Humor begeg-net: Benno, der Boxer, dessen Körperhaltung für unser kultu-rell verankertes Schamgefühl schon etwas provokant daher-
kommt. Man möchte ihn fast bitten, sich zu bedecken. Die dürren Äste eines blattlosen Baumes im bläulichen Winter, mit fünf leuchtend gelben Äpfeln dran, die immer noch so tun, als wäre es schönster Herbst.

Da sitzen kleine Schwalben auf Hoch-spannungsleitungen, die, wenn man es aus unserer Frosch-Perspektive betrachtet, übereinander verlaufen. Mal sitzen die Vögel zu zweit, mal zu dritt, mal allein in unterschiedlichen Abständen von einander. Mal fliegt einer weg oder sucht sich einen anderen Platz. Die Leitungen selbst sind nur ganz schwach zu sehen. Es scheint mehr, als würden die Vögelchen auf einem unsichtbaren Fa-den aufgezogen sein.
Als Saessak Shin, die Pianistin des heutigen Abends, eines die-ser Bilder bei Günther Rechn im Atelier stehen sah, hatte sie so-fort Noten und Notenlinien vor Augen. Sie war entzückt, wie Sie sich vorstellen können. In Gedanken ging Saessak die abgebildete „Partitur“ durch und stellte fest, dass man das Ganze wirklich nachspielen könnte, wenn man wollte – zumindest sie könnte. Rechn bestätigte, dass er tatsächlich von Noten inspiriert wurde. Bachs „Air“ und ein Intermezzo sehen Sie verbildlicht in dieser Ausstellung. Und einmal mehr staunte ich über diesen kreativen Gedanken, der Rechn da gekommen war, und ebenso staune ich über diese so sensible, zarte Umsetzung. Die kleinen Schwalben mit ihren weißen Bäuchen und schwarzen Fracks, dazu das Querformat, das mit seinem mehrdeuti-gen Inhalt so wunderbar über ein Klavier passen würde …

Rechn spielt gern mit Ihren Sehgewohnheiten: Ungewöhnliche Perspektiven, an-geschnittene Bildräume und dazu Konstellationen von Dingen oder Figuren, die den Betrachter stutzen lassen. Die Stilleben-Arrangements strahlen Ruhe und Ausgewogenheit aus und glänzen durch die kleinen, aber wichtigen Details, wie die weißen Tischtücher, auf denen Baumhaselnüsse oder nichts mehr als eine Bir-ne und eine Dose liegen. Die Tücher hängen leicht schräg vom Tisch her-ab, mit einer Bügelfalte versehen, die die Ruhe genau an diese Stelle ein wenig aufbricht.

Er vermag es, wie kein anderer, au-genblickliche Stimmungen und At-mosphären in seinen Bildern wiederzugeben. Naturzustände sind eine seiner Spe-zialitäten: Wenn sich die Mittagssonne auf toskanische Häuserwände wirft, ist die flirrende Hitze an diesem menschenleeren Ort fast zu spüren; der Branitzer Park ist natürlich zu jeder Jahreszeit schön, doch Rechn fängt ihn ausgerechnet an einem diesigen Herbsttag ein, so dass einem die klamme Luft schon beim Anblick frösteln lässt, auch wenn die einsame Skulptur in dem spiegelglatten Wasser nicht romantischer sein könn-te. Branitz gibt es natürlich auch an sonnigeren Tagen. Dann schweift des Malers Blick über die Wiesen, hin zum Schloss, das von frischem Grün umrandet ist.
Rechns Zeit an der Burg Giebichenstein hat ihn geprägt. Es ist die Verbindung von Handwerk und bildender Kunst, die in Halle bis heute in besonderem Maße ge-
lingt, und das ist im Werk Rechns deutlich zu sehen. Willi Sitte, einer seiner wich-tigsten Lehrer, hatte einen wichtigen Anteil an der Ausbildung seiner Talente. Dessen Zeichenkunst, die Beherrschung der genauen Linie, beeindruckte Rechn nachhaltig. Das lineare Zeichnen wurde mit allen Konsequenzen trainiert, die Ge-setzmäßigkeiten der Formen verinnerlicht und das genaue Beobachten zum Prin-zip erklärt. Und das ist er bis heute: ein hervorragender Beobachter: Orte, Land-schaften, Naturzustände, Körpersprache von Tieren, zwischenmenschliche Situa-tionen. Gerade letzteres fordert ihn besonders heraus. Es sind die gesellschafts-kritischen Themen, die Oberflächlichkeiten und das Gedankenlose. Sein unver-stellter Blick deckt auf, stellt bloß, rückt sehr nah und legt den Finger da in die Wunde, wo es ihm wichtig ist. „Erlkönigs Töchter“, eines der großen Formate, bei dem die Ölfarbe noch nicht ganz trocken ist, zwingt Sie, stehen zu bleiben und die ungewöhnliche Konstellation zweier Welten zusammen zu bringen: Goethes be-rühmteste und durchaus verstörende Ballade trifft auf die gleichnamigen Proto-typen teurer Autos, die sich mit getarntem Äußeren und riskanten Testfahrten

manchmal in einer gefährlichen Grauzone bewegen. Rechn überhöht den Fieber-traum des kranken Jungen und zeigt das ganze Spektrum an Interpretationen die-ses alten und doch aktuellen Werkes: Verführung, Rausch, Phantasie, sexuelle Gewalt, bis hin zu Pädophilie mit Opfern und Tätern. Das „gülden Gewand“ der Mutter im Mittelpunkt des Bildes. Und im linken Hintergrund: schemenhafte Au-tos auf einer breiten, schnellen Straße, die auf die Figuren zusteuern. Das anzügli-che Sündenbabel nach Motiven der Ballade und das zweifelhafte Vorgehen von Automobilherstellern, um die Konkurrenz in Schach zu halten, wächst sich auf beiden Seiten zu einem Geschwindigkeitsrausch aus.

Diese Art Themen, die das gesellschaftliche Bild aus dem Gleichgewicht bringen und in überhöhter Form auf den Betrachter treffen, gibt es einige in Rechns Schaf-fen und auch hier in der Ausstellung. Es lohnt sich, ihnen auf den Grund zu gehen, die Oberfläche zu durchbrechen und über die bloße Anordnung von Figuren im Raum hinaus zu gehen.

Der Cottbuser Schauspieler Michael Becker, ein Freund des Malers, hat auch in dieser Ausstellung einen größeren Auftritt. 3 Bilder, die ihn in der Auseinander-setzung mit sich selbst als Privatperson und mit seinem Alter Ego – dem Schau-spieler – zeigen. Eine herrliche Studie der Gegenüberstellung: nachdenkend, kri-tisch, zweifelnd. Der Beruf des darstellenden ähnelt dem des bildenden Künstlers dabei sehr. Es ist ein unaufhörliches Arbeiten an sich selbst, das Sich-Infrage-stellen, Bestätigung suchen, ein sich dem Publikum oder Betrachter Ausliefern, in dem man immer wesentliche Stücke von sich selbst preisgibt. Gleiches finden wir
in vielen Selbstporträts des Malers.

Ich möchte Sie noch auf einen, wie ich finde, besonderen, wenn auch nicht voll-ständigen Bilder-Zyklus aufmerksam machen, den Günther Rechn schon seit vie-len Jahren nicht mehr ausgestellt hat. Der zunächst etwas angestaubt wirkende Titel „Am Hofe Friedrichs des II. von Hohenstaufen“ zeigt Ausschnitte der überlie-ferten Geschichte eines besonderen Mannes. Als mittelalterlicher Kaiser des rö-misch-deutschen Reiches war er ungewöhnlich fortschrittlich.
Sein Hof entwickelte sich zu einem bedeutenden Zent-rum der Dichtung und Wis-senschaft, was im Grunde die Renaissance, die erst 2 Jahrhunderte später eintre-ten sollte, vorweg nahm. Friedrich war Falkner und er verfasste dazu ein Werk, das aufgrund seiner naturwissenschaftlichen Genauigkeit und der empirischen Methodik so berühmt wurde, dass es bis heute als Standartwerk der Falknerei gilt. Rechns Darstellungen sind Ausschnitte verschiedener Stationen des Kaisers: von den Auseinandersetzungen mit dem Papst, über den wissenschaftlichen Dis-kurs mit Gelehrten bis hin zu den Forschungen zur Falknerei. Die Überhöhung der Motive, die intensiven Farben und das Erzählerische jedes einzelnen Bildes heben diese Reihe besonders hervor.

Das Bild im Bild – oder besser die Bilder als Bild begrüßen Sie, wenn Sie nun gleich die Treppe in das erste Obergeschoss führt. Eine ganze Wand voller eng aneinan-der gereihter Kleinformate, die perfekt arrangiert die ganze Bandbreite seines Könnens wie einen Blumenstrauß prä-sentieren. Das hat sich wohl ein Maler in diesem Hause bisher noch nicht getraut – aber es ist gelungen.
Umgangssprachlich nennt man diese Art der Präsentation „Petersburger Hän-gung“, was auf die üppig behängten Wände der Sankt Petersburger Eremitage zurückgeht und dem Repräsentations-bedürfnis des 18. Jahrhunderts ent-sprach. Umso schöner, dass diese veral-tete Ausstellungsform hier einen Platz gefunden hat.

Lieber Sven Krüger, ich danke Ihnen für Ihr Engagement in dieser Ausstellung und ihre Leidenschaft für gute Kunst. Ohne Sie wäre es nur halb so gut!

Für den heutigen Abend darf ich Ihnen, liebes Publikum, ganz wunderbare Eindrü-cke wünschen. Nehmen Sie sich Zeit für diese Bildwelt, in der es über das Motiv hinaus Geschichten zu entdecken gibt, kommen Sie wieder und erzählen Sie es weiter.

Vielen Dank für Ihre Augen und Ohren.

© Maike Rößiger, Kunsthistorikerin

Ausstellung Gut Geisendorf 20132019-04-14T10:33:23+02:00

„… tierisch … – Malerei und Grafik von Günther Rechn“

Vielleicht dachten Sie, als Sie den Titel der Ausstellung lasen, „Tiere? Nun ja, schau‘n wir mal. Vielleicht wollen die Kinder ja mit …“. Doch nicht so schnell mit dem Urteil! Denn was Sie hier erwartet, ist kein Tierparkbesuch, keine lexikonartige Aneinanderreihung von Vierbeinern und Federvieh, keine Welt, die sich sofort greifen lässt. Das bemerken Sie nicht nur, wenn Sie diesen Katalog durchblättern und sich „festsehen“. Die Exposition in den schönen Räumen des Gutes Geisendorf präsentiert eine erlesene Auswahl an Arbeiten des Malers und Grafikers Günther Rechn, die Sie zweifellos gefangen nehmen werden. Die Bilder üben einen Sog aus, Sie fühlen sich berührt und werden versuchen, das Geheimnis dahinter zu lüften.

Abgesehen von der Tatsache, dass wir es hier nicht mit gewöhnlichen Tierbildern, sondern nahezu Porträts von Individuen und hintergründigen Darstellungen zu tun haben, wird der Bogen weiter gespannt, als der erste Eindruck vermuten lässt. So gibt es Zwischenmenschliches, was durch Tierisches ironisch kommentiert wird, es gibt Mythologisches, was mit Mischwesen archaische Welten streift, es gibt Kampf und Liebe, Ruhe und Aufbruch.
„Und könnten die Tiere reden, was würden sie sagen?“, schrieb der Schweizer Schriftsteller Jakob Bosshart. Es gibt hunderte von Publikationen zum Wesen des Tieres, zur Körpersprache, die wie ein Code zu lesen ist, zur Kommunikation zwischen Mensch und Tier. Günther Rechn übersetzt uns manches davon. Er kehrt das augenblickliche Empfinden eines Tieres heraus, macht es lesbar, überzeichnet es hier und da, so dass es noch deutlicher wird. Er blickt zuweilen amüsiert darauf, ohne sich lustig zu machen, ohne ein Klischee zu bedienen oder in Verklärung zu verfallen. Es gibt nichts Plakatives – im Gegenteil: wir erleben einen lebendigen Realismus, nicht selten verpackt in kleine Geschichten oder durch einen narrativ komponierten und doch zurückhaltenden Raum. Wer den Maler kennt, weiß ohnehin, dass er nicht an der Oberfläche kratzt. Seine Bilder, ob Tiere, Stilleben, Menschen oder Landschaften, atmen und sind voller Energie. Er ist ein Meister der Zwischentöne und der Zeichenkunst. Es gelingt ihm, das gesamte Wesen eines Tieres mit einer einzigen Bewegung, einem vielsagenden Blick, mittels Komposition und Farbe nach außen zu kehren. Er nimmt sie ernst, diese Tiere, ist zeitlebens fasziniert von der Kunst dieser Natur, studierte und zeichnete sie unentwegt. Jede Linie sitzt, die Farbräume sind mit Bedacht ausgewählt, die Perspektive ist oft unkonventionell, provokant. Eine vollendete Dramaturgie!

© Maike Rößiger, Kunsthistorikerin

Ausstellung Galerie ART99 in Worpswede 20122019-04-14T10:39:13+02:00

Meine Damen und Herren, verehrte Kunstfreunde, lieber Siegfried, lieber Günther,

ich freue mich, hier zu sein, hier zu stehen, den schönen Abend mit Ihnen zu teilen und Worte vorbereitet zu haben, die Sie in die Welt der beiden Künstler holen sollen.
Dem vorangestellt, beglückwünsche ich Sie zu diesen schönen Räumen und den vielen Wän-den, die diese stattliche Anzahl an Bildern und Plastiken aufnehmen können, in denen sich wandeln lässt und hier und jetzt spannende Dialoge zwischen beiden Kunstgattungen entstehen können.
Sie haben hier die einmalige Möglichkeit, einen wie ich finde gelungenen, repräsentativen Einblick in das Schaffen der beiden Künstler Siegfried Stolle und Günther Rechn zu erhalten. Es ist wunderbar, dass Siegfried sich hier in seiner Funktion als gastgebender, weil heimi-scher Bildhauer wieder diesen Maler und Freund als Dialog-Partner dazu geholt hat. Denn vor vielen Jahren gab es schon einmal eine gemeinsame Ausstellung, damals in der Galerie Altes Rathaus.

Beide verbindet eine lange Freundschaft und über diese hinaus der Austausch über Kunst im Allgemeinen und nicht zuletzt über ihre eigenen künstlerischen Entwicklungen und Positio-nen. Siegfried Stolles Wunsch war es hierbei, Günther Rechn und dessen Arbeiten in dieser Exposition in den Vordergrund zu holen. Daher seien Sie nicht verwundert, wenn ich bei un-serem Maler ein wenig ausschweife.
Während ich Günther Rechn und seine Arbeiten schon ein gutes Stück kenne, mich über vergangene Ausstellungen hin intensiv mit seinem Werk beschäftigt habe, war die Begeg-nung mit den Arbeiten Siegfried Stolles für mich eine neue. Und beide Ausgangssituationen sind für mein Fach gleichsam spannend: Bei dem einen neue Erkenntnisse gewinnen, neue Worte finden, Ihnen für diesen Moment meine Augen leihen und meine Sicht der Dinge – im wahrsten Sinne des Wortes – zu schildern. Bei dem anderen hingegen ein neues Fach auf-zumachen, zu beobachten, Spannungen und Ausgewogenheiten aufzuspüren und Ihnen von meinen Entdeckungen zu berichten.
Bleiben wir bei Siegfried Stolle und seinen Arbeiten. Als Bürger dieses herrlichen, kunstsinni-gen Ortes, mit ständig neuen künstlerischen Positionen, die hier zur Auseinandersetzung und Gesprächen einladen, seinem studierten wissenschaftlichem Hintergrund von Philosophie und Architektur, die feste Künstlergruppe dieser Galerie, die mit Sicherheit ihre Maßstäbe setzt und Qualität einfordert … Mit all diesen Voraussetzungen widmet er sich seit Jahrzehnten der Bildenden Kunst. Sie ist für ihn ein Betätigungsfeld, in dem er sich Freiräume erschließen kann. Die Plastik ist dabei sein Hauptfeld. Und was ich entdecke, ist überraschend. Er ist in
der Art der Materialbehandlung nicht festgelegt, im Gegenteil: er findet immer neue Formen und variiert die Oberflächen. Er schöpft die Modellierfähigkeit des Tons aus, so dass wir so-wohl Figuren mit spröden, aufwühlenden, krustenartigen Behandlungen finden als auch kla-re, glatte, elegante Flächen als Torsi oder gar gänzlich abstrakte Objekte. Vor allem Erstge-nannte, die grob modellierten, bewegen nicht nur die Form … sondern auch mich! Sie sind frisch und zeugen doch von einer intensiven Auseinandersetzung mit der klassischen moder-nen Bildhauerkunst. Die Plastiken lassen sich erkunden. Sie wollen von allen Seiten betrach-tet werden und offenbaren immer neue Ansichten und Spannungsfelder. Meist sind es weib-liche Körper, deren Ästhetik in überzogenen Anatomien und fast manieristischen Körperdeh-nungen ausgelotet wird.
Die objekthaften, abstrakteren Arbeiten, die sich von der Figur entfernen, weisen schöne Schwünge auf und erinnern mich in ihren organischen Ausformungen an Blätter, Blütenkap-seln oder dergleichen.
All die Arbeiten entstehen meist spontan, hat mir der Bildhauer verraten, und sind Ergebnis-se seines Spieltriebes. Er behält sich diese Wandelbarkeit vor, will lernfähig bleiben und sich, schon weil er nicht marktgerecht arbeiten möchte, in kein Korsett pressen lassen.

Die verwendeten Materialien, die sie in dieser Ausstellung sehen, sind Gips und Bronze. Al-lerdings bedingen meistens die hohen Kosten für Bronzegüsse den aktuellen Terrakotta-Zustand vieler Figuren in seinem Atelier. Sie schlafen ihren Dornröschenschlaf, bis sie in den edleren Zustand wechseln dürfen.
9 Arbeiten finden Sie von Siegfried Stolle in dieser Ausstellung– eine überschaubare Zahl, sicher, dennoch wollen sie eingehend betrachtet werden. Nehmen Sie sich die Zeit und be-obachten Sie die gedehnten Körper, ihre herausgestellte, ekstatisch wirkenden Haltungen, ihre reizvollen schroffen Oberflächen, die zu atmen scheinen oder die feinen, geschmeidigen Linien der fast athletisch wirkenden Frauen-Torsi.
Ich kann nicht leugnen, dass Günther Rechn zu den Malern gehört, deren Arbeiten, ob auf dem Papier oder der Leinwand, mich bei jeder Begegnung ungeheuerlich beeindrucken. Und da das so ist, muss ich mich, wenn ich heute darüber spreche, immer ein wenig in Zurück-haltung üben, um nicht in überschwängliche Huldigungen zu geraten. Doch was er auch an-geht, welches Themas oder Motivs er sich annimmt, er adelt den Bildgegenstand. Wenn Sie sich umsehen, finden Sie im Grunde viele scheinbar banale Motive, die jedoch eine unerklär-liche Verbindung zum Betrachter herstellen – ob die „Hagebutten“ oder die „Eisvögel“ oder der „Hinterhof in Vilnius“. Selbst die Menschen-Szenerien, wie das Bild „Das Gastmahl“ von 2008, beschreiben trotz des Titels kein eindrucksvolles Ereignis. Es drängt sich thematisch nicht in den Vordergrund.
Jedes Objekt erhält seine Bühne. Was ist das? Was fesselt uns an diesen Bilderwelten?

Das Auge des Malers skizziert in groben Zügen seine Entdeckungen, doch nimmt er die Lichtstimmungen und die Besonderheit eine Situation auf und speichert sie ab. Im Atelier
schließlich wird laboriert und experimentiert. Mit schnellen Strichen entstehen die Grundzüge eines Bildes. Dabei liegt die Konzentration einzig auf dem Motiv – der Figur, dem Gegen-stand oder einer bestimmten Situation – der Hintergrund ist, wie sie sehen können, oft redu-ziert, was das Hauptmotiv umso stärker hervorkehrt. So sichert er eine Ausgewogenheit trotz des oft pastosen, schnellen Pinselstrichs. Häufig entstehen dann Variationen eines Mo-tivs, bei denen man sehen kann, wie intensiv Rechn seine Objekte beobachtet hat. Den Men-schen schaut er genau ins Gesicht und kehrt gelegentlich – um noch einmal zurück auf’s „Gastmahl“ zu kommen, in seiner ihm eigenen Überhöhung absurde Situationen oder defek-te zwischenmenschliche Beziehungen heraus. Es ist der Spiegel, den er uns vorhält.
Die „Hagebutten“ aus diesem Jahr, ein kleines Format – ein Kammerstück sozusagen! Ihre kraftvollste Zeit dauert, einmal geschnitten, nur Tage, doch in dieser pastosen Fassung ist ihre Frische und ihr strahlendes Rot dauerhaft festgehalten.
Günther Rechn fängt Motive ein, wo unser normalsterbliches Auge überhaupt keine vermu-tet, und dann kehrt er wie in einer Momentaufnahme diesen besonderen Augenblick heraus, dieses Flirren, die Stimmung, die Geschichte der Dinge … alles schwebt irgendwie mit.

Was dem natürlich vorausgeht, ist das jahrzehntelange Studium mit dem Zeichenstift, der gekonnt gesetzt werden will, aber nur das zeigt, was nötig ist. Seine Lehrer auf der Burg Giebichenstein in Halle, worunter besonders Willi Sitte als beeindruckender Zeichner nach-haltig wirkt, haben großen Anteil an Rechns Bildauffassung, dem das genaue Beobachten vorausgeht. Er benötigt schon lange keine Modelle mehr, um grobe Skizzen in vielschichtige, spannungsreiche Ölbilder umzuwandeln.
Dabei findet er stets die interessanteste Komposition, den angemessenen Einsatz von Hell und Dunkel, von Licht und Schatten, von lasiertem Bildhintergrund und pastos aufgetragener Farbe an exponierten Stellen im Bild. Das erzeugt Bewegung und Lebendigkeit. Und so, wie wir von den Dingen, die uns umgeben, nie ein komplettes Bild erhalten, sondern nur „unsere“ Per-spektive einnehmen, integriert der Maler genau diesen Aspekt in seine Bilder. Er spielt mit den Sehge-wohnheiten, der Phantasie und der Neugierde des Betrachters, wenn der Bildrand statt zu rahmen provokant anschneidet.
Und dann ist da die Mischung aus konkretem Gegenstand und der Ahnung von etwas. Was ihm dabei gelingt, ist das Schaffen von Atmosphäre. Und diese macht es bekanntlich schwer, sich greifbar beschreiben zu lassen. Sie ist eben eine Ansammlung all der genannten Kom-ponenten, mit dem Ergebnis, der Landschaft, dem Tier, den Menschen größtmögliche Erha-benheit zu verleihen.
Das Triptychon „Tanz ums goldene Kalb“ ist hier eines der größten Formate dieser Ausstellung. Seine Tiefgründigkeit verlangt etwas Zeit und Aufmerksamkeit von seinem Betrachter, denn was wir zu se-hen bekommen, ist großes Theater und damit eine Parallele unseres Zeitgeistes, unserer Handlungs-muster. Das Theater ist zudem ein Ort, welcher auf Täuschung gebaut ist und es versteht, viele Lügen und viele Wahrheiten aus dem Hut zu zaubern und zu entlarven. So bekommen wir auch hier auf iro-nisch zugespitzten Ebenen einen Spiegel vorgehalten: Zum einen die menschlichen Gewohnheiten,
gedanken- und gewissenlos im Überfluss zu schwelgen, sinnentleert in dieser Welt zu stehen, sich gierig auf immer mehr zu stürzen, immer höher hinaus zu wollen, sich größer zu machen, als man ist um sich im Tanz ums goldene Kalb selbst zu feiern. Man muss nicht bibeltreu sein und die Geschichte Moses kennen, um dieser Metapher der Verehrung von Reichtum und Macht begegnet zu sein. Die Redensart vom „Tanz ums Goldene Kalb“ findet doch in jeder Gesellschaft ihren berechtigten Platz, nicht zuletzt in unserer heutigen.
Sie haben sicher festgestellt, dass sich Rechn auf kein Thema festlegt. Alles findet seine Berechtigung … genau so, wie unsere Welt nun einmal gestrickt ist.
Tiere – für ihn Zeit seines Lebens ein besonderes Thema und als Malender ein dankbares Motiv, da sie so unverstellt und ehrlich sind. Sie handeln immer intuitiv, auch die Hunde, trotz ihrer mehr oder we-niger geglückten Erziehung durch Menschenhand.

Und die Landschaften, … die ihn finden, so scheint es, wenn er auf Reise geht, ob in der Lausitzer Hei-mat oder über die Landesgrenzen hinaus. Italien, mit seiner in den Bildern spürbaren Wärme – schon wenn Sie sich die im Grunde nicht sehr reizvollen Hauswände auf dem Bild „Hinterhof in Vilnius“ anse-hen, fängt Rechn dennoch genau das ein, was wir so lieben, wenn wir Italien bereisen: diese Stim-mung, das Alter von Städten und Dörfern, das an ihren Fassaden und eben auch Hinterhöfen und Straßen abgelesen werden kann, gepaart mit der flirrenden Wärme und dieser Zufriedenheit ihrer Be-wohner. Oder die Türkei, die ihn in den letzten Jahren malerisch aufs höchste beeindruckte.
Von vielen Lieblingsbildern fesselt mich eines davon am meisten: Es heißt „Wasser“ und entstammt eben einer dieser Reisen in dieses Land, in das Gebiet Anatolien. Wenn Sie davorstehen, wissen Sie vielleicht, was ich meine, wenn ich das Wort „Sog“ verwende … Die weißen Ränder dieses kraterhaften Beckens bilden einen hohen Kontrast zum tiefen Blau des Wassers. Eine fast unwirkliche Erscheinung!
Meine Damen und Herren, es gibt viel zu berichten über die beiden Künstlerfreunde, die ihrer Berufung wegen heute hier stehen und Besonderheiten ihres Schaffens präsentieren. Lassen Sie sich zu Be-obachtungen hinreißen, umrunden Sie die Plastiken Siegfried Stolles und entdecken Sie die Schönhei-ten ihrer Formen, ergründen Sie die Tiefe der Bilder Günther Rechns trotz ihrer Zweidimensionalität.
Tauschen Sie sich aus mit den Ausstellungsstücken, und selbstverständlich auch mit den beiden Künstlern.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit

© Maike Rößiger, Kunsthistorikerin

Ausstellung degewo-Remise Berlin 20122019-04-14T10:47:21+02:00

Verehrter Vorstand der degewo, sehr geehrter Herr Krüger, liebe Kunstfreunde, lieber Günther,

ich freue mich sehr, wieder mit einem interessierten Publikum in mitten von Bildern zu stehen, die mich immer wieder in ihren Bann ziehen. Und ich bin hier, um Ihnen zu erzählen, warum das so ist.
Kunst ist schön – macht aber viel Arbeit. Ein amüsanter, ironischer Spruch des Komikers Karl Valentin. Ein Satz allerdings, der sich auf das Schaffen Günther Rechns auf unterschiedliche Weisen auslegen lässt – was sowohl bemerkenswert wie typisch ist! Die eine Seite ist: der Maler setzt sich täglich, wöchentlich, monatlich einem ungeheueren Arbeitspensum aus, bei dem mit schneller Hand und zuweilen pastosem Pinselstrich Serien, also mehrere Varianten eines Themas, punktgenau und mit großer handwerklicher Sicherheit entstehen. Manchmal 3, 4, 5 Bilder täglich. Es wirkt wie eine Fingerübung, und doch sind sie gut durchdacht, wohl strukturiert, makellos. Und dann gibt es die Werke, die eine tiefe, anhaltende Auseinandersetzung mit einem großen Thema verlangen, wie wir es hier mit dem Diptychon „Der Raub der Sabinerinnen“ finden. Bevor es nur an die Grundierung der Leinwände geht, kommen unzählige, fast wiederum eigene Kunstwerke bildende Skizzen, Entwürfe, kompositorische Überlegungen, Figurstudien zu Papier. Dann beginnt sie endlich, die Arbeit an der Leinwand, die ich nach einiger Zeit sehen und bestaunen darf. Ein paar Wochen später bin ich wieder im Atelier und alles ist anders. Stellen Sie sich diesen Prozess vor, das Werden und Wachsen und das Verwerfen, was auch dazu gehört, die Rastlosigkeit und Zweifel, die den Genius zum Genius machen, bis er endlich an den Punkt kommt, an dem alles stimmt. Dies ist das Ergebnis, und es ist in dieser Ausstellung zweifellos das Hauptwerk, denn es sticht nicht nur durch seine Größe hervor, sondern hebt sich thematisch völlig von den anderen ausgestellten Bildern ab. „Der Raub der Sabinerinnen“ ist dem einen oder anderen als Titel sicher schon einmal begegnet. Als kurze Erläuterung sei Ihnen der historische Hintergrund gereicht: 8. Jahrhundert vor Chr.; Romulus gründete Rom und es kamen fast ausschließlich Vertriebene und Verbannte in die Stadt, so dass Frauenmangel herrschte. So lud er – der listige Romulus – die Sabiner – ein benachbarter italischer Stamm – mit ihren Familien zu Festspielen ein. Die Römer entführten die unverheirateten Mädchen, woraufhin die Brüder und Väter Rache schworen. Einige Zeit später rückten sie mit einem gewaltigen Heer an. Die Sabinerinnen, die allerdings nicht mehr ganz unfreiwillig zu Ehefrauen und Müttern von Römern wurden – stellten sich schließlich zwischen die verfeindeten Heere und erzwangen so den Frieden. Daraufhin siedelten die Sabiner nach Rom über.

Diese Sage wurde mit barockem Pathos oder manieristischer Übertreibung der Körper oft in die Malerei und Plastik übersetzt. Eingebettet in einen Schauplatz antiker römischer Architektur und aufwühlenden Wolkenbergen im Hintergrund bekam der Betrachter sogleich eine Lehrstunde in Geschichte und Kulturgeschichte. Natürlich – jede Epoche hat seine Stilmittel. Was wir allerdings bei Günther Rechn zu sehen bekommen, ist Konfrontation und Provokation. Der für den historischen Rahmen oft selbsterklärende Hintergrund ist ausgeblendet. Wir erfahren nichts über Zeitpunkt oder den konkreten Ort. Es gibt nur die neutrale Horizontlinie zwischen Wasser und Himmel. Worum es hier geht, ist die Beziehung zwischen den Figuren und uns als Betrachter. Das ist sein Stilmittel. Wir stehen vor diesem großen Bildwerk und finden uns in einem Tumult an nackten Körpern wieder, der nahezu orgiastische Züge hat. Rechn ist nicht zimperlich, im Gegenteil, er stellt Figuren in anatomischer Perfektion zur Schau – ob Mensch, ob Tier, – kostet den ungewöhnliche Betrachterstandpunkt aus und zelebriert die perspektivischen Verkürzungen der Körper. Unsere Blicke und die mancher Figuren kreuzen sich. Wir werden bei der Beobachtung einer Situation ertappt, die sich offenbar zwischen Gewalt und Erotik bewegt. Es ist eine Momentaufnahme – als hätte jemand in dieser Sekunde auf den Auslöser gedrückt und unfreiwillig dramatische wie komische Szenen festgehalten. Dem Maler gelingt ganz nebenbei, die Komik in das Geschehen einzubauen. Er ist ein Meister darin, Menschen und Tiere so in der Bewegung festzuhalten, dass wir als Betrachter mitunter Zeugen skurriler Gestik und Mimik werden. Und wenn wir nicht wegschauen, drohen wir, mit in das Bildgeschehen hinein gezogen zu werden.

Selten ist mir ein Künstler begegnet, dem es gelingt, sowohl große Momente als auch scheinbar banale Motive einzufangen und mich bei beidem gleichsam zu fesseln. Es ist die faszinierende Mischung aus der gewählten Perspektive, diesem flirrenden Licht, der eingefangenen Stimmung und oft eben diese Portion Humor. Humor lädt immer auch zur Auseinandersetzung ein, ob bei gesellschaftskritischen Themen oder ganz alltäglichen – auch wenn oder gerade weil wir uns sehr oft selbst erkennen, weil wir aus dem Bild heraus angeblickt werden, uns berührt oder gar beteiligt fühlen. Dabei müssen Motive nicht einmal inhaltsschwer und dramatisch sein. Mich berührt das Bild „Stillleben mit Abate“ in dieser Ausstellung mindestens genauso stark wie die „Sabinerinnen“. Hier ist es wieder der ungewöhnliche Blickwinkel, aber auch die Ruhe und Ausgewogenheit, die es ausstrahlt, und das Haptische der einfachen Dinge, ihre Textur: das reine, weiße Tischtuch hängt halb schräg vom Tisch herab. Statt eines dramatischen Faltenwurfs ist lediglich die Bügelfalte zu sehen und das empfinde ich zumindest als viel ehrlicher. Diese leuchtende, etwas eingedrückte Blechdose möchte ich anfassen, und der Duft der reifen Birne ist beinahe zu spüren. Der schlichte, sparsam gefasste Hintergrund, was ebenfalls ein typisches Stilmittel in Rechns Bilderwelten ist, betont das Motiv umso mehr. Ich stelle mich vor das Bild und versuche, zu ergründen, aus welchen Farben dieser silberne Schein der Dose oder der sichtbare Knick im Tischtuch bestehen. Die Mittel sind reduziert, ohne dabei auf nötige Details zu verzichten.
Sie sehen in dieser Ausstellung, welche Themen dem Maler neben den Stillleben auch besonders am Herzen liegen. Es sind Landschaften und vor allem sind es Tiere. Aber nicht etwa in ihrer Allgemeingültigkeit, sondern eben in ihrem Moment und vor allem in ihrer Persönlichkeit. Auch hier klammert Rechn wieder konventionelle Sehge
wohnheiten aus. Da ist der Boxer „Benno“, der uns beschämend provokant, aber wie selbstverständlich gegenüber sitzt. Natürlich wirkt Benno wie einer, der von seiner Daseinsberechtigung am meisten überzeugt ist. Oder „Pompelmo“, der Mops, der es im Leben schon weit gebracht hat, ansonsten wäre er schließlich nicht so würdevoll porträtiert worden. Die „Kraniche“ öffnen in der Hitze der Mittagssonne ihr Gefieder wie ein Blumenstrauß und tanzen oder balzen oder machen dem Rivalen ihre Überlegenheit deutlich. Auch der „Hahnenkampf“ ist voller Lebendigkeit und Kraft. Deutlich blitzen in der Bewegung die Farben aus ihrem Gefieder hervor.

Ja, Günther Rechn ist ein hervorragender Beobachter: Orte, Landschaften, zwischenmenschliche Situationen, Körpersprache von Tieren und das stille Leben von Stillleben … Dem zugrunde liegen eine lebenslange Schule, unzählige Skizzenblöcke und Tausende gemalter Bilder zu Hunderten von Motiven. Das Studium, das 1966 in Halle an der Burg Giebichenstein begann, endete nur pro forma mit dem Diplom, denn ein Künstler studiert lebenslänglich. Seine Lehrer Lothar Zitzmann, Hannes H. Wagner und Willi Sitte hatten einen wichtigen Anteil an der Ausbildung seiner Talente. Es ist die Verbindung von Handwerk und bildender Kunst, die in Halle bis heute in besonderem Maße gelingt, und das ist im Werk Rechns deutlich zu sehen. Vor allem Sitte, für den das Zeichnen das Wesentliche ist und nur das zur Malerei hinführt, beeindruckte mit der Beherrschung der genauen Linie. Viele Ausstellungen hat Rechn bis heute erlebt, Preise gewonnen, Reisen gemacht, die ihn mit Kulturen und Menschen zusammenbrachten. Italien, das Land, welches er für viele Jahre als zweiten Arbeitsort wählte, hatte eine immense Bandbreite an Motiven und außergewöhnlichem Licht für ihn; die Türkei und insbesondere Troja als Mythos und Realität fasziniert ihn und lässt ihn das wohl ungewöhnlichste Troja-Motiv malen, das je zu Papier oder auf Leinwand gebracht worden ist: „Feigenbaum im Winter“ mit dem Untertitel „Schliemanns Grab“. Dabei ist nicht wichtig, dass Heinrich Schliemann faktisch in Athen begraben liegt. Hier geht um die mythische Stimmung rund um Troja, welche mittels eines faszinierenden und Jahrtausende alten Gehölzes, wie dem Feigenbaum, eingefangen wurde.

Günther Rechn wird nicht müde, das zum Thema eines Bildes zu machen, was ihm vor die Augen kommt – sei es in einem fremden Land oder vor der eigenen Haustür. Sein Haus und Garten in Limberg bei Cottbus bieten ihm dabei die gleiche malerische Faszination und Herausforderung wie z.B. der Kampf zweier Hähne oder das Kräftemessen zweier Maremma-Stiere in Italien.

Ich möchte noch so viele Worte verlieren zu den Bildern, die Sie in dieser Ausstellung sehen können, aber – Sie haben auch Augen! Sehen Sie, was ich sehe, werden Sie zum Beobachter und Entdecker, lassen Sie sich einfangen von den Wesen und Landschaften und Stillleben. Sprechen Sie Günther Rechn an oder genießen Sie einfach diese Ausstellung, und sagen Sie es weiter.

Vielen Dank

© Maike Rößiger, Kunsthistorikerin

Ausstellung Vattenfall-Hauptverwaltung Cottbus 20112019-04-14T10:32:25+02:00

Lieber Günther Rechn, liebe Familie des Malers, liebe Freunde, Kollegen, Bewunderer, Neugierige, sehr geehrte Gastgeber,

ich darf wohl sagen, dass es eine große Ehre für mich ist, hier in diesem Haus eine Laudatio auf einen Meister wie Günther Rechn zu halten. Diese Möglichkeit erhält man in der Tat nicht alle Tage, und so kann ich nur sagen, dass ich voller Dankbarkeit bin. Zu Beginn der Planungen für diese Ausstellung meinte der bescheidene Maler noch: Ausstellung ja, aber ich will keine Lobrede auf mich! – Bin ich froh, dass er es sich anders überlegt hat. Aber eine solche Lobrede ist ja auch mit Daten und Fakten gespickt, in so fern ist es gewissermaßen ein Tatsachenbericht und dem kann man sich ja kaum verschließen.

Kennen Sie den Geruch von Ölfarbe und Terpentin? Ich empfehle Ihnen, einmal in einen gut sortierten Fachhandel für Künstlerbedarf zu schnuppern. Die eindrücklichste Vorstellung von diesem Geruch erhalten Sie allerdings nur in einem Atelier. Stellen Sie sich vor, Sie befinden sich in einem Raum mit der Größe von etwa 40/50 m², und dieser Raum ist an jeder Wand bis unter die Decke mit Ölbildern behangen. Auf dem Boden sind weitere aneinander gelehnt, auch auf den 2-3 Staffeleien stehen sie und der Arbeitstisch quillt über vor lauter Farbe und Tuben. Es herrscht eine Atmosphäre voll kreativer Geschäftigkeit: vollendete Bilder, Bilder, die soeben begonnen wurden, Bilder die noch nicht beendet sind, Pinsel in allen Formen und Größen, die wie ein Strauß Blumen in großen Dosen stecken und dazu dieser einmalige Duft. Sie befinden sich im Atelier von Günther Rechn.

Es ist nicht verwunderlich, dass dieses Haus heute so voll geworden ist. Dass diesem Maler in dieser Stadt wieder eine große Ausstellung gewidmet wird, ist lange überfällig. Der Fokus auf ihn und seine Arbeit kann nicht deutlich genug gesetzt werden, denn es gibt in unseren Breitengraden – und damit will ich niemandem zu nahetreten – nur noch sehr wenige Künstler seines Formats. Er ist noch einer der alten Schule, die das lineare Zeichnen mit allen Konsequenzen trainierten, bis sie es
so verinnerlichten, dass sie kein Modell mehr nötig haben. Kein Meister, der vom Himmel gefallen ist, sondern einer, der die Perfektion erreicht hat durch harten Fleiß, durch die lebenslange, intensive Auseinandersetzung mit Kunst, mit Kulturgeschichte und schlichtweg mit dem, was seine Augen ihm zeigen und was seine Phantasie weiterführt.

Rechn gehört zu der sogenannten Dritten Künstlergeneration der DDR. Im Gegensatz zu den beiden Generationen vor ihm, die noch die revolutionäre Romantik des Aufbaus in sich trugen, zeigte er mit Beginn seines Studiums 1966 an der Kunsthochschule der Burg Giebichenstein in Halle eine viel nüchternere, illusionsfreiere Wirklichkeitsauffassung. Allerdings war Halle zu keiner Zeit eine ausgesprochene Malerschule. Sie war immer sehr mit dem Handwerk verbunden, kam aus der Bauhaus-Tradition und bildet auch heute noch Kunsthandwerker und Designer aus. Doch damals lastete ein besonderer Druck auf der Schule. Der staatlich provozierte Formalismusstreit der 1950er Jahre hatte das Ziel, sich vom westlichen Kunstbetrieb abzugrenzen: Die Kunst war nicht länger frei und hatte sich der Politik unterzuordnen. Doch die „Burg“, wie sie im Volksmund schlicht genannt wird, war vor allem in den 60er Jahren aufmüpfig, suchte sich ihre eigenen Wege – im Verborgenen selbstverständlich und auf Grund des Engagements und der humanistischen Ideale einzelner Lehrer, die eine Verantwortung darin sahen, ihren Studenten eine möglichst liberale Kunstauffassung angedeihen zu lassen. Und so ist die inoffizielle Verbindung von Handwerk und bildender Kunst in Halle in besonderem Maße gelungen, was im Werk Rechns deutlich zu sehen. Seine Lehrer Lothar Zitzmann, Hannes H. Wagner und Willi Sitte hatten daran besonderen Anteil. Vor allem Sitte, für den das Zeichnen das Wesentliche ist und nur das zur Malerei hinführt, beeindruckte mit seiner Beherrschung der genauen Linie. Wie kommt man zu dieser Linie? Wie lassen sich Kraft und Dynamik auf einer Fläche derart bündeln? Und so wurde das genaue Beobachten trainiert, wieder und wieder gezeichnet, beobachtet, korrigiert, gezeichnet und auf diese Weise die Gesetzmäßigkeiten der Formen und Inhalte verinnerlicht. Anatomien auswendig zu lernen, war etwas für den Mediziner. Die Zeichnungen, die Teil dieser Ausstellung und des Kataloges sind, sind einerseits Studien für die Arbeiten in Öl, doch sind sie in ihrem schnellen Strich und ihrer Prägnanz ebenso vollendet.

Günther Rechns Arbeiten umfassen das Spektrum eines großen Theaters, eines Welttheaters. Und dennoch zeigen sie seine künstlerische Bandbreite nur aus-schnitthaft. Ein Haus kann noch so groß sein, man würde nicht alle Bilder zeigen können, die der fleißige Maler Jahr um Jahr hervorbringt.
Seine Themen sind ein Panoptikum – eine Ansammlung von Sehenswürdigkeiten und Kuriositäten. Die Größe der Bilder ist nicht von ihren Maßen abhängig, sondern von der Erhabenheit der Darstellung des Motivs. Natürlich sind es subjektive Bewertungen, doch es ist die Selbstverständlichkeit, mit der Rechn Dinge und Lebewesen auf seinen Leinwänden erscheinen lässt. In flirrendem Licht und einer oft ungewöhnlichen Perspektive wirken sie wie eine Momentaufnahme. Da sind die reifen, gelben Quitten, die aus einem banalen Karton kullern, der farblich beinahe mit dem grau-braunen Hintergrund verschmilzt. Es wird deutlich, worauf es hier ankommt, denn die ganze Konzentration liegt auf den Früchten: Es ist das Dasein, die Natur, und es ist dennoch kein Abbild, sondern vielmehr ein Aufblitzen. Durch Textur und Leuchtkraft werden die Quitten erhaben.
Rechn spielt mit den Sehgewohnheiten, der Phantasie und der Neugierde des Betrachters, wenn der Bildrand plötzlich nicht rahmt, sondern das Motiv anschneidet, wenn Konstellationen auftauchen, die mehr konträr wirken, als dass sie harmonieren, Formen, die sich ironisch wiederholen oder bewusst gegensätzlich zueinanderstehen. Er hat einen unverstellten Blick, der mehr aufdeckt, als dass er zurechtrückt. Der Hintergrund ist meist sparsam gefasst, was das Motiv nur noch mehr betont – wie bei „Ede“, dem Kater, der eigensinnig, aber ruhig und mit gesenktem Kopf auf dem weißen Tischtuch sitzt. Nichts um Ede herum lenkt von ihm ab. Oder der „Eisvogel“, der mit seinen wachen Augen aufmerksam in den blauen, kühlen Dunst des Sees hinausblickt, während das Schilf, auf dem er sitzt, nur ange-deutet bleibt. Rechn bündelt alle Konzentration auf diesen kleinen Vogel und wir kommen uns vor, als wären wir Zeuge eines Naturereignisses. Es ist die Gleich-zeitigkeit und Ausgewogenheit von Ruhe und Energie, die seinen Bildern innewohnt. Der Stolz zweier Hähne, die sich einen Kampf liefern, wirkt ebenso kraftvoll wie beharrlich. Deutlich blitzen in der Bewegung die Farben aus ihrem Gefieder hervor; die Wucht miteinander konkurrierender Stiere wirkt explosiv und unerschütterlich zugleich. Man bekommt den Eindruck, als stünde man schon viel zu nah dran.
Natürlich wird Ihnen beim Betrachten der Bilder und Zeichnungen auffallen, welches Thema – und es ist ein ganzer Themenkomplex – Günther Rechns besondere Leidenschaft bildet. Selten ist mir ein Mensch begegnet, der mit Tieren, vor allem mit Hunden, derart verbunden ist, wie Rechn. Er studiert diese Wesen und fasst seine Forschungsergebnisse in Bildern zusammen. Des Menschen bester Freund: er ist unverstellt und ehrlich, er handelt intuitiv und ist in seiner Loyalität dem Herrchen oder dem Frauchen gegenüber bedingungslos und unübertroffen. Betrachten Sie die Bilder und sie sehen die unterschiedlichsten Charaktereigenschaften und Emotionen: mal ist es die sprühende Freude, mal der Schalk im Nacken, mal gespannte Auf-merksamkeit, mal Neugierde, mal Übermut und auch mal Unberechenbarkeit. Blicken Sie in die Augen eines dieser Vierbeiner und Sie sehen, dass da irgendetwas vor sich geht, in diesem eigensinnigen Hundekopf. Der Mops auf dem Titelbild des Kataloges und auch auf der Einladungskarte, die Sie bekommen haben, ist regelrecht porträtiert worden. Er heißt Pompelmo – er trägt diesen Namen wie ein General: stolz und mit Würde. Übersetzt heißt es Pampelmuse!
Bei Ihrem Rundgang werden Sie Motive entdecken, die ihren Ursprung in anderen Ländern haben. Kappadokien in der Türkei gehört zu den jüngsten Entdeckungen Rechns. Er zeigt uns die in den Stein gehauenen Behausungen dieses Landstrichs. Befremdlich, scheinbar unstrukturiert und doch wie aus einem Guss wirken sie im gleißenden Tageslicht und erweitern unser Verständnis für Zivilisation und das staunende Auge des Malers. Italien, insbesondere die Stadt Grosseto hat sich für Günther Rechn viele Jahre lang als idealer Ort zum Arbeiten erwiesen. Es geht eine eigentümliche Wärme von den Mauern der Häuser und Gassen in seinen Bildern aus. Und den Menschen, denen er begegnet ist und die ihm ans Herz gewachsen sind, stehen die reiche Kultur, die Traditionen und die Freude über ihr bloßes Dasein auf das Lebhafteste ins Gesicht geschrieben. Ihre clownesken, närrischen Züge finden deutliche Parallelen in der Commedia dell’arte. Die Gaukler und Musiker, die mit wunderbaren Typen besetz sind, blicken in ihrem Spiel ganz unverhohlen aus dem Bildgrund heraus. „Brass-Band“ von 2008 ist ein derart lautes und bewegtes Bild, dass man die Töne der Posaunen und Trompeten aus ihrem hochglanzpolierten Blech förmlich herausspürt.
Die Darstellungen, auf denen sich Menschen wie auf einer Bühne sammeln, haben eine Ebene erreicht, die wesentlich hintergründiger ist, als es auf den ersten Blick
scheint. Das Theater ist zudem ein Ort, welcher auf Täuschung gebaut ist und es versteht, viele Lügen und viele Wahrheiten aus dem Hut zu zaubern. Für den Maler ein idealer Platz, zwischenmenschlichen Beziehungen auf den Grund zu gehen, in dem sich hinter mancher Harmonie und Maske soziale Unzulänglichkeiten aufdecken lassen. Rechn spielt mit Überhöhungen und Absurditäten und ist nicht zimperlich, seine Figuren zu entblößen – im wahrsten Sinne des Wortes.
Ganz zum Schluss möchte ich noch auf zwei Werke hinweisen, die schon aufgrund ihrer besonderen Größe auffallen: Die beiden Triptychen „Tanz ums goldene Kalb“ und „Makaken“. Beide Arbeiten sind Parallelen unseres Zeitgeistes, unserer Handlungsmuster, ironisch zugespitzt: Zum einen die Gewohnheiten, gedanken- und gewissenlos im Überfluss zu schwelgen, sich gierig auf immer mehr zu stürzen, sich größer zu machen, als man ist und sich im Tanz ums goldene Kalb selbst zu feiern.
Die Affen sind den Menschen nicht unähnlich – oder ist es eher umgekehrt? Das Objekt der Begierde in diesem Werk ist der Apfel – eine ohnehin schon symbol-trächtige Frucht – er steht im Mittelpunkt und wird beäugt und ignoriert zugleich. Solange er unangetastet bleibt, herrscht Friede, doch der Apfel ist nur eine Armlänge entfernt und der Streit und die Missgunst sind vorprogrammiert, sobald sich einer der Affen nicht mehr zurückhalten kann. Ein Bild voller Mehrdeutigkeiten, die uns Günther Rechn wie einen Spiegel vorhält. Man entdeckt unfreiwillig viel zu viele menschliche Eigenschaften im Verhalten dieser Tiere. Doch bei aller Kritik und allen Fragwürdigkeiten ist Humor eine wichtige Zutat in seinen Bildern. Denn seine eigene Natur ist die eines Humoristen und Optimisten, und so findet er alles Lebenswerte und Lebendige gleichsam malenswert.
Meine Damen und Herren, lassen Sie uns mit wachen Augen durch dieses imposante Welttheater gehen, entdecken Sie die Anspielungen und die kleinen Unaus-gewogenheiten des Lebens, streifen Sie durch die warmen Landschaften des Südens und lassen Sie sich anstecken von der Energie, die von diesen Bildern ausgeht.

Danke für Ihre Aufmerksamkeit.

© Maike Rößiger, Kunsthistorikerin

Ausstellungsverzeichnis

» Ausstellungen in der DDR

  • Erfurt
  • Merseburg, Schlossmuseum
  • Halle (Saale), Staatliche Galerie Moritzburg
  • Cottbus, Brandenburgische Kunstsammlungen
  • Hoyerswerda, Kunstsammlung / Leipzig, Leibnitzklub
  • Rostock, Kunsthalle / Halle, Burggalerie
  • Leipzig, Museum der bildenden Künste
  • Cottbus, Galerie Carl Blechen
  • Frankfurt (Oder), Galerie Junge Kunst
  • Leipzig, Fachschule für Bühnentanz

» Ausstellungen in der Bundesrepublik Deutschland

  • Brühl, Villa Meixner Jugendstilmuseum / Lich, Kloster Arnsburg
  • Cottbus, Rathaus / Staatstheater / Merseburg, Museum / Plauen, Vogtlandtheater
  • Hoyerswerda, Landratsamt / Potsdam, Galerie am See
  • Cottbus, Stadt- und Messehallen / Hoyerswerda, Landratsamt
  • Cottbus, Galerie Wohndesign / Plauen, Vogtlandtheater
  • Worpswede, Altes Rathaus / Cottbus, “110 Tage Maremma” Ausstellung bei der ESSAG
  • Bad Steben, Grafikmuseum- Stiftung Dr. Schreiner / Cottbus, Staatstheater / Senftenberg, Galerie am Schloss
  • Hoyerswerda, Foyer des Amtsgerichtes Hoyerswerda
  • Branitz, Hotel Bestwestern / Glashütte, Galerie Packschuppen / Halle (Saale), Galerie Zeitkunst / Waldenburg, Galerie Tauscher
  • Rheda Wiedenbrück, Galerie Unter den Linden bei Fürstin Sissi zu Tecklenburg-Bentheim / Lübben, Rathaus / Leipzig, Café Protzendorf
  • Berlin, Meissen Galerie / Cottbus, Stadtmuseum Cottbus / Feldberg, Kunstverein Feldberger Land e.V. / Ahrenshoop, Galerie Peters-Barenbrock
  • Berlin, Ausstellung „Zwischenraum“
  • Ahrenshoop, Galerie Peters-Barenbrock
  • Berlin, Meissen Galerie
  • Darmstadt, Galerie Maximilian / Merseburg, Willi Sitte-Galerie / Berlin, Galerie Peters-Barenbrock
  • Cottbus, Sparkasse Cottbus
  • Luckenwalde, Galerie im Kreishaus
  • Gut Geisendorf
  • Galerie von Waldenburg
  • Berlin, Objekt 43
  • Kassel, VW Galerie
  • Schloss Willigrad, Kunstverein
  • Münchhausen
  • Wustrow, Kunstscheune Barnsdorf

» Ausstellungen in Italien

  • Grosseto, Fortezza Medici
  • Rom, Galeria Fidia, arte moderna / Siena, Palazzo Patrizii / Rieti, Theater
  • Abatone, Galleria d’arte, La Sferna
  • Jesi, Palazzo Convegni
  • Rom, Galeria Fidia / Sulmona, Palazzo dell’ Annunziata
  • Grosseto, Fortezza Medici
  • Grosseto, Galeria Modigliani
  • Grosseto, Galeria Tridente
  • Grosseto, Galeria Tridente
  • Grosseto, Galleria “Colori del Pensiero” / Banca Nationale del Lavoro

» Ausstellungen in Frankreich

  • Vichy, Casino

» Ausstellungen in Polen

  • Swidnica, Muzeum Archeologiczne Srodkowego Narodrza

» Ausstellungen in Tschechien

  • Brünn, Galerie Starobrnensko

Arbeiten von Günther Rechn

Klicken Sie auf eine der unten aufgeführten Bilder um sich einige aktuelle Werke aus den Bereichen Öl auf Leinwand, Arbeiten auf Papier, Skulpturen, Kermaiken, Zeichnungen oder meinen aktuellen Kalender anzusehen.