Die Welt in das Büro geholt
Ausstellung des Malers Günther Rechn in der Landesärztekammer Cottbus
Wieder einmal ist der Cottbuser Maler Günther Rechn mit einer wunderbaren Ausstellung in seiner Heimatstadt zu erleben. Dieses Mal schlich er sich ohne Pomp und Pathos mit über 40 Arbeiten in die Landesärztekammer Cottbus, doch was er zeigt, ist mehr als das Lesen dieser Zeilen wert. Wer Günther Rechn kennt, weiß, was er an Themenreichtum erwarten darf. Es gibt im Grunde nichts, was es nicht wert wäre, gemalt zu werden: von Menschenbildern und Tieren, über Stillleben und Landschaften bis hin zu mythologischen Darstellungen und nicht zuletzt Gesellschaftskritik. Sein Welttheater lässt niemanden kalt, weil es scharf beobachtet, facettenreich und lebendig, hintergründig und weise, ernsthaft und komisch, tierisch gut und auch menschlich stets delikat ist. Auf Leinwand und Papier ist hier nun ausgewähltes Bildmaterial zu sehen, was von gewohnt hoher grafischer und malerischer Qualität ist. Klassiker, aber auch neue Arbeiten spielen miteinander und reiben sich aneinander. Allein Rechns Mammutwerk „Der Raub der Sabinerinnen“ ist einen Besuch wert. Der antike Mythos wird hier maßlos überhöht und doch auf das Wesentliche reduziert. Wir finden uns in einem Tumult an nackten Körpern wieder, der nahezu orgiastische Züge hat. Rechn ist nicht zimperlich, im Gegenteil, er stellt Figuren in anatomischer Perfektion zur Schau. Wir werden bei der Beobachtung einer Situation ertappt, die sich offenbar zwischen Gewalt und Erotik bewegt. Es ist eine Momentaufnahme – als hätte jemand in dieser Sekunde auf den Auslöser gedrückt. Er ist ein Meister darin, Menschen und Tiere so in der Bewegung festzuhalten, dass wir als Betrachter mitunter Zeugen skurriler Gestik und Mimik werden. Und wenn wir nicht wegschauen, drohen wir, mit in das wollüstige Bildgeschehen hinein gezogen zu werden. Zu gewagt für ein öffentliches Haus? Nicht für die Landesärztekammer, denn es gibt in dieser Ausstellung kaum ein menschlicheres Thema als dieses.
Doch es menschelt nie bei Rechn. Auge und Verstand sind wach genug, um den Bildgegenstand oder die Person zu hinterfragen und die Kompositionen immer wieder zu bearbeiten, bis das Bild von sich erzählt. Der Cottbuser Schauspieler Michael Becker ist ein guter Freund des Malers. Ein Porträt von ihm zeigt seine Auseinandersetzung mit sich selbst als Privatperson und mit seinem Alter Ego – dem Schauspieler. Der Beruf des darstellenden ist dem des bildenden Künstlers dabei nicht unähnlich. Es ist ein unaufhörliches Arbeiten an sich selbst, das Sich-Infrage-stellen, Bestätigung suchen, sich dem Publikum ausliefern, in dem man immer wesentliche Stücke von sich preisgibt. Rechn fängt diese Kontroverse in Haltung und Blick des Mimen sowie dem Bild im Bild gekonnt ein.
So lädt auch das eigene Spiegelbild bereits seit der Antike bildende Künstler dazu ein, sich mit sich und ihren Stimmungen auseinander zu setzen. Günther Rechn ist nun nicht nur für sich selbst eine beeindruckende Erscheinung. Groß gewachsen, mit Hut und kunstvollem Schnauzbart kennt man ihn, und als solcher blickt auch sein Selbstbildnis den Betrachter an. Da bilden zahlreiche, fast expressionistisch bunte Farben Antlitz und Hände. Sommerliches Licht fällt von rechts und gibt dem Ganzen trotz des ein wenig distanzierten Blickes eine freundliche Stimmung. Natürlich ist der Maler selbstkritisch und hat ernste Momente, aber sein Wesen ist das eines Humoristen, der auch über sich selbst lachen kann. Selten bin ich einem Künstler begegnet, der diese besondere Fertigkeit besitzt, seinen Werken eine dezente, aber spürbare Komik zu verleihen. Ob es Menschen sind, die Rechn als Typ oder reale Person
darstellt, Hunde, die er in ganz bestimmten Momenten einfängt und damit auch das Wesen des Tieres erfasst, oder Stillleben arrangiert, die eine ungewöhnliche Anordnung haben – vielen seiner Bilder wohnt dieser unvergleichliche Humor inne. Denn dieser lädt immer zur Auseinandersetzung ein, ob bei gesellschaftskritischen Themen oder ganz alltäglichen – auch wenn oder gerade weil wir uns sehr oft selbst erkennen, weil wir aus dem Bild heraus angeblickt werden, uns berührt oder gar beteiligt fühlen.
Jedes seiner Bilder wirkt wie ein Schnappschuss, ob Figurentheater oder Stillleben. Sie leben alle vom ungewöhnlichen Blickwinkel, von den angeschnittenen Motiven, von der Haptik und dem Glanz der Dinge, von ihrer Ausgewogenheit und Ruhe. Quitten sind ein häufig wiederkehrendes Motiv bei Rechn. Die Früchte, gepflückt in ihrer vollen Reife, behalten hier die frische Farbe bei. Sie kullern aus einem Korb oder ruhen in einer Schale, und es wird deutlich, worauf es hier ankommt, denn die ganze Konzentration liegt auf den Früchten: Es ist das Dasein, die Natur, und es ist dennoch kein Abbild, sondern vielmehr ein Aufblitzen. Durch Textur und Leuchtkraft werden die Quitten erhaben.
Günther Rechn hat natürlich seine Lieblinge, Dinge und Kreaturen, die ihn so sehr faszinieren, dass sie über Jahre hinweg Thema bleiben und nie langweilig werden. Die Quitten gehören zweifellos dazu, Amaryllisblüten, die so frisch scheinen, als wären sie gerade erst gemalt worden, am Himmel vorüberziehende Vögel, in ihrer Anmut festgehalten, und selbstverständlich Hunde in allen Variationen und Augenblicken. Als „Hundemaler“ ist er seit Jahrzehnten weithin bekannt. Er studiert diese Tiere und fasst seine Forschungsergebnisse in Bildern zusammen. Des Menschen bester Freund: er ist unverstellt und ehrlich, er handelt intuitiv und ist in seiner Loyalität dem Herrchen oder dem Frauchen gegenüber bedingungslos. Betrachten Sie die Bilder und Sie sehen die unterschiedlichsten Charaktereigenschaften und Emotionen: mal ist es die sprühende Freude, mal der Schalk im Nacken, mal gespannte Aufmerksamkeit, mal Übermut und auch mal Unberechenbarkeit.
Das Motiv kämpfender Hähne ist hierzulande und vor allem für uns Stadtmenschen ein seltener Anblick geworden. Rechn setzt hier nicht auf fliegende Federn und verletzte Körper, sondern auf Lebendigkeit, Kraft und Anmut, die diesen Tieren selbst in existenzieller Situation innewohnt. Deutlich blitzen in der Bewegung, die wie ein Tanz wirkt, die Farben aus ihrem Gefieder hervor.
Besuch ich ihn in seinem Cottbuser Atelier, sind viele dieser Bilder gerade in Arbeit. Mehrere Staffelleien stehen neben- oder hintereinander, am Boden warten Bilder darauf, beendet zu werden oder sind für die nächste Ausstellung zurechtgestellt. Es duftet nach Ölfarben und Terpentin, gemischt mit dem Rauch seiner Zigarillos, denn der Maler arbeitet unbändig und ununterbrochen. Papiere mit Skizzen und Zeichnungen, aber auch soeben gefertigte Radierungen und Tuschen füllen die verschiedenen Arbeitsplätze im Atelier. Dazu läuft meist klassische Musik. So war das schon immer und so wird es auch noch lange Jahre bleiben. Nur jetzt, im Frühling, kann man ihn häufig in seinem Garten, der dem Wohnatelier vorgelagert ist, sehen. Fachkundig erklärt Rechn mir seine besonderen Stücke. Die Liebe zu Pflanzen, vor allem alten und ungewöhnlichen Gewächsen, zeigt sich in einer üppig bewachsenen Fläche. Das Gespür für Ausgewogenheit und Schönheit liegt also nicht nur im künstlerischen Schaffen.
Musik scheint schöpferisch arbeitende Menschen zu beflügeln, ihre Horizonte zu erweitern und Stimmungen zu verstärken. Und gelegentlich kommt es vor, dass das musikalische Thema Eingang in die Arbeiten findet oder sogar zum Thema gemacht wird. Paolo Conte, der italienische Jazzmusiker und Sänger, gehört zu Rechns musikalischen Lieblingen. Einige der Grafiken, die in der Ausstellung zu sehen sind, nennt Rechn schlicht „Zu Liedern u. Gedichten von Paolo Conte“. Sie handeln – natürlich – von Menschen allgemein, von Männern und Frauen im Speziellen, von zwischenmenschlichen Beziehungen, von Liebe, Gesellschaft, dem Unterwegssein. Die schönen Tusche-Arbeiten zeigen einmal mehr das zeichnerische Vermögen des Malers. Kontrastreich und in zügigen Handbewegungen erobern die Figuren das Papier. Durch die Andeutung von Konturen und Auslassungen von Fläche holt er diesen Kontrast am stärksten hervor. Körper oder Körperteile werden durch ihre getuschten Schatten sichtbar. Die Qualität liegt in der Genauigkeit von schnell gesetzten Linien. Ein weiteres grafisches Meisterstück ist das große Papier, das irgendwann einmal einen Tisch bedeckte. Dinge werden darauf abgestellt, Abdrücke hinterlassen, es entstehen kleine Skizzen bei Gesprächen – Papier ist Papier! Es wird übermalt, korrigiert, hinzugefügt und verschiedene Techniken ausprobiert, an manchen Stellen wird das Papier sehr durchlässig, an anderen durch verschiedene Untergründe immer dicker. Die vielen kleinen physiognomischen Studien von Menschenköpfen, Hunden und Pferden ergeben nun ein großes, herrliches Bild.
Was dem vorausgeht, ist das jahrzehntelange Studium mit dem Zeichenstift, der gekonnt gesetzt werden will, aber nur das zeigt, was nötig ist. Seine Lehrer auf der Burg Giebichenstein in Halle, worunter besonders Willi Sitte als beeindruckender Zeichner nachhaltig wirkt, haben großen Anteil an Rechns Können und Bildauffassung, dem das genaue Beobachten vorausgeht. Darin ist Rechn ein Meister, der mit schnellem Strich das Wesentliche einer Figur herauskehrt. Er benötigt schon lange keine Modelle mehr, um grobe Skizzen in vielschichtige, spannungsreiche Grafiken und Ölbilder umzuwandeln. Zahllose Ausstellungen hat Rechn bis heute erlebt, Preise gewonnen, Reisen gemacht, die ihn mit Kulturen und Menschen zusammenbrachten. Italien, das Land, welches er für viele Jahre als zweiten Arbeitsort wählte, hatte eine immense Bandbreite an Landschaften mit außergewöhnlichem Licht und einzigartigen Menschen für ihn. Aber auch vor der eigenen Haustür gibt es mit dem kleinen Garten und den Hunden, der Familie, den Lausitzer Parks, den Zugvögeln und dem, was die Natur an einfachen wie besonderen Schätzen preis gibt, viele Themen.
Nun also strahlen die Gänge und Hallen der Landesärztekammer Brandenburg in Cottbus wieder in farbenprächtiger Manier und mit bewegenden Motiven. Es ist ein bisschen wie ein Gemischtwarenladen – für jeden dürfte etwas dabei sein. Im Gegensatz zur virtuellen Welt, die gerade in einem solchen Arbeitsumfeld mit komplizierten und durchaus trockenen IT- und Verwaltungsprozessen zu tun hat, dürfte das farbenfrohe Welttheater des Günther Rechn eine willkommene Abwechslung sein, die nicht nur dem Personal vorbehalten ist, sondern von jedermann besucht werden darf.
© Maike Rößiger, Kunsthistorikerin