Lieber Günther Rechn, liebe Familie des Malers, liebe Freunde, Kollegen, Bewunderer, Neugierige, sehr geehrte Gastgeber,

ich darf wohl sagen, dass es eine große Ehre für mich ist, hier in diesem Haus eine Laudatio auf einen Meister wie Günther Rechn zu halten. Diese Möglichkeit erhält man in der Tat nicht alle Tage, und so kann ich nur sagen, dass ich voller Dankbarkeit bin. Zu Beginn der Planungen für diese Ausstellung meinte der bescheidene Maler noch: Ausstellung ja, aber ich will keine Lobrede auf mich! – Bin ich froh, dass er es sich anders überlegt hat. Aber eine solche Lobrede ist ja auch mit Daten und Fakten gespickt, in so fern ist es gewissermaßen ein Tatsachenbericht und dem kann man sich ja kaum verschließen.

Kennen Sie den Geruch von Ölfarbe und Terpentin? Ich empfehle Ihnen, einmal in einen gut sortierten Fachhandel für Künstlerbedarf zu schnuppern. Die eindrücklichste Vorstellung von diesem Geruch erhalten Sie allerdings nur in einem Atelier. Stellen Sie sich vor, Sie befinden sich in einem Raum mit der Größe von etwa 40/50 m², und dieser Raum ist an jeder Wand bis unter die Decke mit Ölbildern behangen. Auf dem Boden sind weitere aneinander gelehnt, auch auf den 2-3 Staffeleien stehen sie und der Arbeitstisch quillt über vor lauter Farbe und Tuben. Es herrscht eine Atmosphäre voll kreativer Geschäftigkeit: vollendete Bilder, Bilder, die soeben begonnen wurden, Bilder die noch nicht beendet sind, Pinsel in allen Formen und Größen, die wie ein Strauß Blumen in großen Dosen stecken und dazu dieser einmalige Duft. Sie befinden sich im Atelier von Günther Rechn.

Es ist nicht verwunderlich, dass dieses Haus heute so voll geworden ist. Dass diesem Maler in dieser Stadt wieder eine große Ausstellung gewidmet wird, ist lange überfällig. Der Fokus auf ihn und seine Arbeit kann nicht deutlich genug gesetzt werden, denn es gibt in unseren Breitengraden – und damit will ich niemandem zu nahetreten – nur noch sehr wenige Künstler seines Formats. Er ist noch einer der alten Schule, die das lineare Zeichnen mit allen Konsequenzen trainierten, bis sie es
so verinnerlichten, dass sie kein Modell mehr nötig haben. Kein Meister, der vom Himmel gefallen ist, sondern einer, der die Perfektion erreicht hat durch harten Fleiß, durch die lebenslange, intensive Auseinandersetzung mit Kunst, mit Kulturgeschichte und schlichtweg mit dem, was seine Augen ihm zeigen und was seine Phantasie weiterführt.

Rechn gehört zu der sogenannten Dritten Künstlergeneration der DDR. Im Gegensatz zu den beiden Generationen vor ihm, die noch die revolutionäre Romantik des Aufbaus in sich trugen, zeigte er mit Beginn seines Studiums 1966 an der Kunsthochschule der Burg Giebichenstein in Halle eine viel nüchternere, illusionsfreiere Wirklichkeitsauffassung. Allerdings war Halle zu keiner Zeit eine ausgesprochene Malerschule. Sie war immer sehr mit dem Handwerk verbunden, kam aus der Bauhaus-Tradition und bildet auch heute noch Kunsthandwerker und Designer aus. Doch damals lastete ein besonderer Druck auf der Schule. Der staatlich provozierte Formalismusstreit der 1950er Jahre hatte das Ziel, sich vom westlichen Kunstbetrieb abzugrenzen: Die Kunst war nicht länger frei und hatte sich der Politik unterzuordnen. Doch die „Burg“, wie sie im Volksmund schlicht genannt wird, war vor allem in den 60er Jahren aufmüpfig, suchte sich ihre eigenen Wege – im Verborgenen selbstverständlich und auf Grund des Engagements und der humanistischen Ideale einzelner Lehrer, die eine Verantwortung darin sahen, ihren Studenten eine möglichst liberale Kunstauffassung angedeihen zu lassen. Und so ist die inoffizielle Verbindung von Handwerk und bildender Kunst in Halle in besonderem Maße gelungen, was im Werk Rechns deutlich zu sehen. Seine Lehrer Lothar Zitzmann, Hannes H. Wagner und Willi Sitte hatten daran besonderen Anteil. Vor allem Sitte, für den das Zeichnen das Wesentliche ist und nur das zur Malerei hinführt, beeindruckte mit seiner Beherrschung der genauen Linie. Wie kommt man zu dieser Linie? Wie lassen sich Kraft und Dynamik auf einer Fläche derart bündeln? Und so wurde das genaue Beobachten trainiert, wieder und wieder gezeichnet, beobachtet, korrigiert, gezeichnet und auf diese Weise die Gesetzmäßigkeiten der Formen und Inhalte verinnerlicht. Anatomien auswendig zu lernen, war etwas für den Mediziner. Die Zeichnungen, die Teil dieser Ausstellung und des Kataloges sind, sind einerseits Studien für die Arbeiten in Öl, doch sind sie in ihrem schnellen Strich und ihrer Prägnanz ebenso vollendet.

Günther Rechns Arbeiten umfassen das Spektrum eines großen Theaters, eines Welttheaters. Und dennoch zeigen sie seine künstlerische Bandbreite nur aus-schnitthaft. Ein Haus kann noch so groß sein, man würde nicht alle Bilder zeigen können, die der fleißige Maler Jahr um Jahr hervorbringt.
Seine Themen sind ein Panoptikum – eine Ansammlung von Sehenswürdigkeiten und Kuriositäten. Die Größe der Bilder ist nicht von ihren Maßen abhängig, sondern von der Erhabenheit der Darstellung des Motivs. Natürlich sind es subjektive Bewertungen, doch es ist die Selbstverständlichkeit, mit der Rechn Dinge und Lebewesen auf seinen Leinwänden erscheinen lässt. In flirrendem Licht und einer oft ungewöhnlichen Perspektive wirken sie wie eine Momentaufnahme. Da sind die reifen, gelben Quitten, die aus einem banalen Karton kullern, der farblich beinahe mit dem grau-braunen Hintergrund verschmilzt. Es wird deutlich, worauf es hier ankommt, denn die ganze Konzentration liegt auf den Früchten: Es ist das Dasein, die Natur, und es ist dennoch kein Abbild, sondern vielmehr ein Aufblitzen. Durch Textur und Leuchtkraft werden die Quitten erhaben.
Rechn spielt mit den Sehgewohnheiten, der Phantasie und der Neugierde des Betrachters, wenn der Bildrand plötzlich nicht rahmt, sondern das Motiv anschneidet, wenn Konstellationen auftauchen, die mehr konträr wirken, als dass sie harmonieren, Formen, die sich ironisch wiederholen oder bewusst gegensätzlich zueinanderstehen. Er hat einen unverstellten Blick, der mehr aufdeckt, als dass er zurechtrückt. Der Hintergrund ist meist sparsam gefasst, was das Motiv nur noch mehr betont – wie bei „Ede“, dem Kater, der eigensinnig, aber ruhig und mit gesenktem Kopf auf dem weißen Tischtuch sitzt. Nichts um Ede herum lenkt von ihm ab. Oder der „Eisvogel“, der mit seinen wachen Augen aufmerksam in den blauen, kühlen Dunst des Sees hinausblickt, während das Schilf, auf dem er sitzt, nur ange-deutet bleibt. Rechn bündelt alle Konzentration auf diesen kleinen Vogel und wir kommen uns vor, als wären wir Zeuge eines Naturereignisses. Es ist die Gleich-zeitigkeit und Ausgewogenheit von Ruhe und Energie, die seinen Bildern innewohnt. Der Stolz zweier Hähne, die sich einen Kampf liefern, wirkt ebenso kraftvoll wie beharrlich. Deutlich blitzen in der Bewegung die Farben aus ihrem Gefieder hervor; die Wucht miteinander konkurrierender Stiere wirkt explosiv und unerschütterlich zugleich. Man bekommt den Eindruck, als stünde man schon viel zu nah dran.
Natürlich wird Ihnen beim Betrachten der Bilder und Zeichnungen auffallen, welches Thema – und es ist ein ganzer Themenkomplex – Günther Rechns besondere Leidenschaft bildet. Selten ist mir ein Mensch begegnet, der mit Tieren, vor allem mit Hunden, derart verbunden ist, wie Rechn. Er studiert diese Wesen und fasst seine Forschungsergebnisse in Bildern zusammen. Des Menschen bester Freund: er ist unverstellt und ehrlich, er handelt intuitiv und ist in seiner Loyalität dem Herrchen oder dem Frauchen gegenüber bedingungslos und unübertroffen. Betrachten Sie die Bilder und sie sehen die unterschiedlichsten Charaktereigenschaften und Emotionen: mal ist es die sprühende Freude, mal der Schalk im Nacken, mal gespannte Auf-merksamkeit, mal Neugierde, mal Übermut und auch mal Unberechenbarkeit. Blicken Sie in die Augen eines dieser Vierbeiner und Sie sehen, dass da irgendetwas vor sich geht, in diesem eigensinnigen Hundekopf. Der Mops auf dem Titelbild des Kataloges und auch auf der Einladungskarte, die Sie bekommen haben, ist regelrecht porträtiert worden. Er heißt Pompelmo – er trägt diesen Namen wie ein General: stolz und mit Würde. Übersetzt heißt es Pampelmuse!
Bei Ihrem Rundgang werden Sie Motive entdecken, die ihren Ursprung in anderen Ländern haben. Kappadokien in der Türkei gehört zu den jüngsten Entdeckungen Rechns. Er zeigt uns die in den Stein gehauenen Behausungen dieses Landstrichs. Befremdlich, scheinbar unstrukturiert und doch wie aus einem Guss wirken sie im gleißenden Tageslicht und erweitern unser Verständnis für Zivilisation und das staunende Auge des Malers. Italien, insbesondere die Stadt Grosseto hat sich für Günther Rechn viele Jahre lang als idealer Ort zum Arbeiten erwiesen. Es geht eine eigentümliche Wärme von den Mauern der Häuser und Gassen in seinen Bildern aus. Und den Menschen, denen er begegnet ist und die ihm ans Herz gewachsen sind, stehen die reiche Kultur, die Traditionen und die Freude über ihr bloßes Dasein auf das Lebhafteste ins Gesicht geschrieben. Ihre clownesken, närrischen Züge finden deutliche Parallelen in der Commedia dell’arte. Die Gaukler und Musiker, die mit wunderbaren Typen besetz sind, blicken in ihrem Spiel ganz unverhohlen aus dem Bildgrund heraus. „Brass-Band“ von 2008 ist ein derart lautes und bewegtes Bild, dass man die Töne der Posaunen und Trompeten aus ihrem hochglanzpolierten Blech förmlich herausspürt.
Die Darstellungen, auf denen sich Menschen wie auf einer Bühne sammeln, haben eine Ebene erreicht, die wesentlich hintergründiger ist, als es auf den ersten Blick
scheint. Das Theater ist zudem ein Ort, welcher auf Täuschung gebaut ist und es versteht, viele Lügen und viele Wahrheiten aus dem Hut zu zaubern. Für den Maler ein idealer Platz, zwischenmenschlichen Beziehungen auf den Grund zu gehen, in dem sich hinter mancher Harmonie und Maske soziale Unzulänglichkeiten aufdecken lassen. Rechn spielt mit Überhöhungen und Absurditäten und ist nicht zimperlich, seine Figuren zu entblößen – im wahrsten Sinne des Wortes.
Ganz zum Schluss möchte ich noch auf zwei Werke hinweisen, die schon aufgrund ihrer besonderen Größe auffallen: Die beiden Triptychen „Tanz ums goldene Kalb“ und „Makaken“. Beide Arbeiten sind Parallelen unseres Zeitgeistes, unserer Handlungsmuster, ironisch zugespitzt: Zum einen die Gewohnheiten, gedanken- und gewissenlos im Überfluss zu schwelgen, sich gierig auf immer mehr zu stürzen, sich größer zu machen, als man ist und sich im Tanz ums goldene Kalb selbst zu feiern.
Die Affen sind den Menschen nicht unähnlich – oder ist es eher umgekehrt? Das Objekt der Begierde in diesem Werk ist der Apfel – eine ohnehin schon symbol-trächtige Frucht – er steht im Mittelpunkt und wird beäugt und ignoriert zugleich. Solange er unangetastet bleibt, herrscht Friede, doch der Apfel ist nur eine Armlänge entfernt und der Streit und die Missgunst sind vorprogrammiert, sobald sich einer der Affen nicht mehr zurückhalten kann. Ein Bild voller Mehrdeutigkeiten, die uns Günther Rechn wie einen Spiegel vorhält. Man entdeckt unfreiwillig viel zu viele menschliche Eigenschaften im Verhalten dieser Tiere. Doch bei aller Kritik und allen Fragwürdigkeiten ist Humor eine wichtige Zutat in seinen Bildern. Denn seine eigene Natur ist die eines Humoristen und Optimisten, und so findet er alles Lebenswerte und Lebendige gleichsam malenswert.
Meine Damen und Herren, lassen Sie uns mit wachen Augen durch dieses imposante Welttheater gehen, entdecken Sie die Anspielungen und die kleinen Unaus-gewogenheiten des Lebens, streifen Sie durch die warmen Landschaften des Südens und lassen Sie sich anstecken von der Energie, die von diesen Bildern ausgeht.

Danke für Ihre Aufmerksamkeit.

© Maike Rößiger, Kunsthistorikerin