Verehrtes Publikum, lieber Günther Rechn,

„Bewegung in Zwischenräumen“ … ist der Titel dieser schönen Ausstellung des Cottbuser Malers Günther Rechn. Ich frage mich oft, wie so ein Ausstellungstitel zustande kommt. Maßgeblich ist natürlich der Inhalt, das ist klar. Aber wenn man so einen wie Rechn nimmt, hat man thematisch ja eher die Qual der Wahl. Doch … steht zuerst die Bildauswahl und sucht man anschließend nach einem Titel oder gab es in einer ruhigen Minute, beim Betrachten des eigenen Konvolutes die zündende Idee, zwei, drei knackige Wörter, eine griffige Zeile und danach wählt man die Bilder? Mit Sicherheit führen viele Wege zum Ziel. Wie in der Literatur ist ein Ausstellungstitel oft auf mehreren Ebenen zu verstehen. Er spielt mit Grenzen und Doppelbödigkeit; viel sagend und hintergründig. So kann ein Titel eine ganze Menge: von sehr allgemein gehalten bis hin zu verkopft. Auch darf er provozieren oder, je nach Thema, amüsant sein. In jedem Fall sollte er neugierig machen und das schafft er durch seine Mehrdeutigkeiten. „Bewegung in Zwischenräumen“ … Wer oder was bewegt sich? Wie schnell? Und von wo nach wo? Was sind die Zwischenräume? Ein Raum zwischen zwei anderen? Ein leerer Raum? Oder eher vollgestopft mit Dingen oder Gedanken? Schafft er Distanz oder ist er die Brücke? Vielleicht ist es ein Zeitraum … oder ein Tummelplatz für alles, was außerhalb exakter Begrifflichkeit liegt, wo Räume und ihre Bestimmung nicht ganz klar sind und da sind wir in der Kunst oft nah dran.

Was wir in dieser Ausstellung sehen, ist bewegt und bewegend. Das ist oft so bei Günther Rechn. Seine Stilmittel sind seinen Motiven charakterlich nicht unähnlich. Pastos und energisch, mit zügigem, aber sicherem Pinselstrich erleben wir Menschen und Tiere, die in Bewegung sind. Den Bildern liegt ein eigentümliches Flirren zugrunde. Er holt seine Geschöpfe auf die Leinwand und macht einen Schnappschuss draus, eine Momentaufnahme ohne kalkulierte Pose, in einer typischen, oft unfreiwilligen Gestik und Mimik. …

Der Ruhezustand ist keine Herausforderung. Leben bedeutet Bewegung, und wenn Ruhe, dann ist es im Rechn‘schen Sinne ein Innehalten, dem Unruhe vorausgeht und sich anschließt. Der Kater Ede, der tiefenentspannt pausiert, unbewegt und ausdauernd, ist dennoch ein Raubtier mit schnellem Sprung und zielsicherer Pfote. Vielleicht erleben wir ihn gerade in diesem besagten Zwischenraum.
Selbst Stillleben oder Landschaften atmen bei Rechn, sie sind voll Spannung und Energie – gleichfalls Momentaufnahmen. Quitten z.B. finden sich immer wieder in seinem Repertoire. Ihre Qualitäten liegen bekanntlich nicht nur in ihrer Schönheit. Kulinarisch sind sie bei gelungener Verarbeitung ein Leckerbissen, auch heilsame Wirkungen werden ihnen nachgesagt, und symbolisch stehen sie für Liebe, Glück, Frucht-barkeit und Unvergäng-lichkeit.

Diese schönen Früchte, die in ihrer vollen Reife so intensiv duften wie sie leuchten, sind auch hier auf der Leinwand kein bloßes Abbild, sondern ein Aufblitzen. Der Maler legt die ganze Konzentration auf die Früchte: Es ist das Dasein, es ist pure Natur, die vom Baum gepflückt weiterlebt und ihre Strahlkraft noch lange beibehalten wird.
Eines der bewegendsten Bilder dieser Ausstellung tritt nicht nur durch seine besondere Größe hervor. Die Formierung des Turmes – Rechn adaptiert des verschollenen Gemälde Turm der blauen Pferde des Expressionisten Franz Marc. Mehr als 20 Pferdeköpfe bannt er auf die Leinwand. Die schönen Tiere strotzen vor Kraft und Energie. Selbige Energie gibt es dann auch noch mal in Form von Windrädern im Hintergrund – ein doppelsinniges Spiel … Uns als Betrachter zieht Rechn beinahe mit in das Geschehen. Wir stehen vor dem Bild und blicken einer Herde Pferde entgegen, die sich gefährlich schnell auf uns zubewegt, sich aufbäumt, ungeduldig wiehert. Das Hufgetrappel ist fast hör- und spürbar. Die Spannung in diesem Bild erreicht ihren Höhepunkt und droht jeden Augenblick, sich zu entladen. Elegant und kraftvoll zeugt dieses Gemälde von der Liebe des Malers zu diesen Tieren.

Aber es sind nicht nur diese Tiere, die ihn so sehr beeindrucken, dass sie auf große und kleine Leinwände und zahllose Papiere finden. Im Grunde ist ihm alles, was kreucht und fleucht, was kräht, bellt, mauzt oder summt den Pinsel oder den Zeichenstift wert. Sie sind ein dankbares Motiv, da sie so unverstellt und ehrlich sind. Sie handeln immer intuitiv, auch die Hunde, trotz ihrer mehr oder weniger geglückten Erziehung durch Menschenhand. Das Bild „Verwirrte Meute“ bannt Hunde auf die Leinwand, die bei Gefahr, Bedräng-nis oder Unsicherheit ihrer Natur nach so reagieren, dass auch der Mensch es bei ihrem Anblick mit der Angst bekommt.

Doch er zeigt auch die sanften, verspielten Charaktere, denen der Schalk im Nacken sitzt und durchweg der beste Freund des Menschen sind. Es gelingt dem Maler, typische tierische Charaktereigenschaften einzufangen. – Aber nicht etwa in ihrer Allgemeingültigkeit, sondern eben in ihrem Moment und vor allem in ihrer Persönlichkeit. Rechn klammert konventionelle Sehgewohn-heiten aus und behandelt Tiere auf der Leinwand nicht anders als den Menschen. Er zeigt sie nicht von ihrer Schokoladenseite, sondern trifft sie in einem Augenblick, der sowohl absurd als auch unbequem sein kann. So kommen wir als Betrachter nicht umhin, zu schmunzeln, weil wir uns erkennen; und vor allem zu staunen, wie treffend, klug und demütig Günther Rechn die Geschöpfe eines kleinen Fleckchens Erde einfängt.
Manchen seiner Bilder ist eine gewisse Komik nicht abzusprechen. Wenn man eben genau hinschaut, wie er es tut, und ohnehin ein Humorist ist, bettet man gern kleine Skurrilitäten oder Unausgewogenheiten des Le-bens ein in seine Arbeit. Die Bühne ist ein Spielplatz für heiteres und komisches Tun bei äußerster Ernsthaftigkeit. Ihr Spiel ist dennoch Maske und Ironie und der Tragik damit recht nah, womit sie der Gesellschaft den Spiegel vorhalten. Das tut auch Günther Rechn. Er spielt mit Überhöhungen und Absurditäten und ist nicht zimperlich, seine Figuren zu entblößen – im wahrsten Sinne des Wortes. Die Gaukler und Musiker, wie sie in den beiden „Maskerade“-Bildern zu sehen sind, blicken in ihrem Spiel ganz unverhohlen aus dem Bildgrund heraus. Die Tragik ist in Form des Totenschädels immer unter ihnen.

Günther Rechn ist ein Lausitzer Maler, oder besser – ein Maler in der Lausitz – was aber seine Sicht auf die Dinge nicht regional einschränkt. Im Gegenteil: Er reist, um andere Menschen, andere Landschaften, andere kulturelle Atmosphären einzufangen und schätzt gleichsam das Lebendige vor seiner Haustür. Er wagt sich an jedes Sujet, ist aber nicht beliebig. Er scheut nicht die Auseinandersetzung mit schwierigen Themen und hat dennoch die Größe, scheinbar banale Motive einzufangen, die gleichsam fesseln.
Die Mittel sind reduziert, ohne dabei auf nötige Details zu verzichten. Malerei und Grafik sind, was den Ausdruck des Motivs angeht, dabei gleichrangig, wenn auch nicht gleichartig. Was sich mit Farben und einem lebhaften Pinselduktus darstellen lässt, kann ebenso wirkungsvoll gezeichnet, getuscht oder gestochen werden. Sie werden in dieser Ausstellung beides, Malerei und grafische Arbeiten, bewundern können. Ich sage „bewundern“ nicht, weil ich ganz persönlich Liebhaber Rechn’scher Künste bin, sondern weil ich ganz objektiv gesehen die hohe Fertigkeit künstlerischen Handwerks schätze und bei Günther Rechn diese durch genaues Beobachten, lebenslanges Studium und mutige und kluge Kompositionen immer wieder vorfinde. Lithografien, Kaltnadelradierungen, Tuschen und Zeichnungen bieten den grafischen Anteil dieser Schau. Ich empfehle Ihnen sehr, bei den einen oder anderen Blättern genauer hinzu-schauen, den Augen Zeit zu geben, den Linien zu folgen, um schließlich das Ganze zu betrachten. Der schnelle Strich gibt ihnen etwas Leichtes, Skizzenhaftes und doch sind es eigenständige Werke. Sicher, präzise und beinahe mit analytischem Blick erfasste er die Anatomien der Tiere. Das beson-dere Verhältnis von hell und dunkel, von Licht und Schatten, von Sichtbarem und Unsichtbarem lässt sich mit grafischen Mittel besonders gut herausarbeiten!

Dieses Handwerk kommt nicht von ungefähr. Er ist durch wichtige Stationen gegangen, die ihn zu dem Könner machen, der er heute ist. Die Liebe zu Tieren und die frühen Anfänge mit dem Zeichenstift gehen dem voraus. Seine Lehrer an der Burg Giebichenstein in Halle, darunter wichtige künstlerische Vorbilder wie Hannes H. Wagner, Willi Sitte oder Lothar Zitzmann, bildeten ihn schließlich zu einem fundierten Handwerker aus, so dass er als Assistent an der Hoch-schule für einige Jahre selbst Aktzeichnen und Naturstudium lehrte. Schon lange benötigt er keine Modelle mehr, doch in die Natur geht er zum Skizzieren noch immer. Auch das bedeutet, in Bewegung blei-ben, das Auge schulen und den Geist nicht müde werden lassen. Mit über 70 Jahren, die im letzten Jahr mit zahlreichen Ausstellungen im Lande gefeiert wurden, gibt sich Günther Rechn auch in den nächsten Jahren keine Pause. Es gehört einfach zu Rechns Eigenheit, uner-müdlich zu schöpfen und Tag für Tag die Welt in sein Atelier zu holen.

Um zum Schluss noch einmal auf den Ausstellungstitel zu kommen: So eine Eröffnung ist vor allem auch dann gelungen, wenn die musikalische Untermalung zur Ausstellung und zum Titel passt. Die Stücke, die die Pianistin Saessak Shin ausgewählt hat, sind Bewegung und Lebendigkeit in vielen, wunderbaren Variationen. Nehmen Sie sie mit, wenn es gleich zu den Bildern geht, behalten Sie sie im Ohr, wenn Kraniche sich leise in die Lüfte begeben, sich Pferdestärken kraftvoll messen und die laut tönenden Gaukler durch die Räume ziehen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit

© Maike Rößiger , Kunsthistorikerin