Mit den in jüngster Zeit entstandenen, skizzenhaft wirkenden Acrylbildern unternimmt Günther Rechn eine Art bilanzierender Reise durch sein bisheriges Werk, bei der die Erfahrungen eines langen, von beglückenden Höhepunkten und tiefgreifenden Konflikten begleiteten Malerlebens zusammengefasst erscheinen. Mehrfach hinterfragt der Skeptiker Günther Rechn das ihm vertraute und ihn ausmachende Verständnis von figurativer Form, um es zugunsten strukturell offener Gestalten als Bedeutungsträger zu steigern. Als Ausdruck einer leidenschaftlich- produktiven Schaffensphase, die durchaus als Frühphase des einsetzenden Spätwerkes bezeichnet werden kann, lässt er uns an einer Art Entdeckungsreise teilhaben, die einer erweiterten Variante motivischen Sehens im Spannungsfeld zwischen Innen- und Außenwahrnehmung gleicht. In gewohnt expressiver Weise mobilisiert er eine Phantasiewelt, in der apokalyptische und archaisch anmutende Aktionen aufscheinen, die eine tiefere Sicht auf gesellschaftliche Zustände wie auch auf individuelle Befindlichkeiten provozieren. Die teils dramatische Konfrontation der Farbsubstanzen lässt sowohl harmonische wie auch dissonante Klänge in überraschenden Kombinationen zu und hält den Schwebezustand zwischen Figuration und gemäßigter Abstraktion offen. Letztlich ist eine scheinbare skurrile Welt mit Figurenfragmenten und forcierten Strichfigurationen, mit changierenden Farbsetzungen und wächsernen Konturen zu entdecken, was jedem Bild ein dynamisch-erregtes Eigenleben verleiht. In diesen von starkem Auffälligkeitswert beherrschten Bildern findet sich eine Synthese von malerischer Sinnlichkeit und gestischer Energie. Zerfließende Körper künden von Transparenz, von Fragilität und auch von Wehrlosigkeit gegenüber übermächtigen, nicht näher bezeichneten äußeren Einflüssen und Gewalten. Darum lässt Günther Rechn alles Lebendige, ob in Harmonie oder in Dissonanz an einem Ort zusammenkommen, um die verschiedenen Bildwelten durch Verfremdungseffekte miteinander zu versöhnen. Und er verleiht den ahnungsvollen Gruppenbildern menschlicher und tierischer Provenienz etwas geheimnisvoll Abgründiges, was den verantwortungsbewussten Geschichtenerzähler Rechn, der zwischen Traum und Albtraum balanciert, den Glauben an die Welt nicht verlieren lässt.

Sowohl in den exzessiven Aktionen wie auch in den in sich gekehrten Darstellungen rätselhafter Körperlichkeit wird Günther Rechn, für den das Verhältnis zur Farbe den Dreh- und Angelpunkt seines künstlerischen Schaffens darstellt, endgültig zum Farbalchimisten, dem weniger an authentischen Effekten gelegen ist, als an der Herstellung kraftvoller Farbereignisse. Nur zu gern lässt er sich dabei vom Sog der Farben leiten und verführen und zeigt sich bereit, die flüchtig gesetzten Farbflächen von starren Formgrenzen zu befreien.

Ironie und Humor, Subtiles und Banales, Witz und Schalk, Absurdes und Groteskes kommen dabei ganz selbstverständlich und zu gleichen Teilen mit einem Hang zum Allegorischen ins Spiel, nämlich dann, wenn im Verschwommenen der Sujets überraschend collagierte fotorealistische Einzelheiten auftauchen. Für den Moment verweisen sie auf die Utopie der Natureinheit der deutschen Romantik und ihre bis heute ungelösten Rätsel von der Einheit alles Lebendigen. Mit diesen leicht verstörenden Geschichten, den drastischen Szenen und geheimnisvollen farbtrunkenen Figurationen, fordert Günther Rechn eben nicht nur unser Wahrnehmungsvermögen heraus. Vielmehr wird deutlich, dass er hinter der Maskerade grundsätzliche Fragen der menschlichen, respektive der tierischen Existenz thematisiert. Damit erfüllt er sich ein ihm wichtiges Anliegen, nämlich Mensch-Tier-und Natur wieder in Einklang zu bringen – zumindest auf dem Papier legt er Spuren hin zu subjektiven Interpretationen.

© Herbert Schirmer, 18. April 2019, Laudatio zu Günther Rechns Ausstellung in der Sparkasse Spree-Neiße