Meine Damen und Herren, verehrte Kunstfreunde, lieber Siegfried, lieber Günther,
ich freue mich, hier zu sein, hier zu stehen, den schönen Abend mit Ihnen zu teilen und Worte vorbereitet zu haben, die Sie in die Welt der beiden Künstler holen sollen.
Dem vorangestellt, beglückwünsche ich Sie zu diesen schönen Räumen und den vielen Wän-den, die diese stattliche Anzahl an Bildern und Plastiken aufnehmen können, in denen sich wandeln lässt und hier und jetzt spannende Dialoge zwischen beiden Kunstgattungen entstehen können.
Sie haben hier die einmalige Möglichkeit, einen wie ich finde gelungenen, repräsentativen Einblick in das Schaffen der beiden Künstler Siegfried Stolle und Günther Rechn zu erhalten. Es ist wunderbar, dass Siegfried sich hier in seiner Funktion als gastgebender, weil heimi-scher Bildhauer wieder diesen Maler und Freund als Dialog-Partner dazu geholt hat. Denn vor vielen Jahren gab es schon einmal eine gemeinsame Ausstellung, damals in der Galerie Altes Rathaus.
Beide verbindet eine lange Freundschaft und über diese hinaus der Austausch über Kunst im Allgemeinen und nicht zuletzt über ihre eigenen künstlerischen Entwicklungen und Positio-nen. Siegfried Stolles Wunsch war es hierbei, Günther Rechn und dessen Arbeiten in dieser Exposition in den Vordergrund zu holen. Daher seien Sie nicht verwundert, wenn ich bei un-serem Maler ein wenig ausschweife.
Während ich Günther Rechn und seine Arbeiten schon ein gutes Stück kenne, mich über vergangene Ausstellungen hin intensiv mit seinem Werk beschäftigt habe, war die Begeg-nung mit den Arbeiten Siegfried Stolles für mich eine neue. Und beide Ausgangssituationen sind für mein Fach gleichsam spannend: Bei dem einen neue Erkenntnisse gewinnen, neue Worte finden, Ihnen für diesen Moment meine Augen leihen und meine Sicht der Dinge – im wahrsten Sinne des Wortes – zu schildern. Bei dem anderen hingegen ein neues Fach auf-zumachen, zu beobachten, Spannungen und Ausgewogenheiten aufzuspüren und Ihnen von meinen Entdeckungen zu berichten.
Bleiben wir bei Siegfried Stolle und seinen Arbeiten. Als Bürger dieses herrlichen, kunstsinni-gen Ortes, mit ständig neuen künstlerischen Positionen, die hier zur Auseinandersetzung und Gesprächen einladen, seinem studierten wissenschaftlichem Hintergrund von Philosophie und Architektur, die feste Künstlergruppe dieser Galerie, die mit Sicherheit ihre Maßstäbe setzt und Qualität einfordert … Mit all diesen Voraussetzungen widmet er sich seit Jahrzehnten der Bildenden Kunst. Sie ist für ihn ein Betätigungsfeld, in dem er sich Freiräume erschließen kann. Die Plastik ist dabei sein Hauptfeld. Und was ich entdecke, ist überraschend. Er ist in
der Art der Materialbehandlung nicht festgelegt, im Gegenteil: er findet immer neue Formen und variiert die Oberflächen. Er schöpft die Modellierfähigkeit des Tons aus, so dass wir so-wohl Figuren mit spröden, aufwühlenden, krustenartigen Behandlungen finden als auch kla-re, glatte, elegante Flächen als Torsi oder gar gänzlich abstrakte Objekte. Vor allem Erstge-nannte, die grob modellierten, bewegen nicht nur die Form … sondern auch mich! Sie sind frisch und zeugen doch von einer intensiven Auseinandersetzung mit der klassischen moder-nen Bildhauerkunst. Die Plastiken lassen sich erkunden. Sie wollen von allen Seiten betrach-tet werden und offenbaren immer neue Ansichten und Spannungsfelder. Meist sind es weib-liche Körper, deren Ästhetik in überzogenen Anatomien und fast manieristischen Körperdeh-nungen ausgelotet wird.
Die objekthaften, abstrakteren Arbeiten, die sich von der Figur entfernen, weisen schöne Schwünge auf und erinnern mich in ihren organischen Ausformungen an Blätter, Blütenkap-seln oder dergleichen.
All die Arbeiten entstehen meist spontan, hat mir der Bildhauer verraten, und sind Ergebnis-se seines Spieltriebes. Er behält sich diese Wandelbarkeit vor, will lernfähig bleiben und sich, schon weil er nicht marktgerecht arbeiten möchte, in kein Korsett pressen lassen.
Die verwendeten Materialien, die sie in dieser Ausstellung sehen, sind Gips und Bronze. Al-lerdings bedingen meistens die hohen Kosten für Bronzegüsse den aktuellen Terrakotta-Zustand vieler Figuren in seinem Atelier. Sie schlafen ihren Dornröschenschlaf, bis sie in den edleren Zustand wechseln dürfen.
9 Arbeiten finden Sie von Siegfried Stolle in dieser Ausstellung– eine überschaubare Zahl, sicher, dennoch wollen sie eingehend betrachtet werden. Nehmen Sie sich die Zeit und be-obachten Sie die gedehnten Körper, ihre herausgestellte, ekstatisch wirkenden Haltungen, ihre reizvollen schroffen Oberflächen, die zu atmen scheinen oder die feinen, geschmeidigen Linien der fast athletisch wirkenden Frauen-Torsi.
Ich kann nicht leugnen, dass Günther Rechn zu den Malern gehört, deren Arbeiten, ob auf dem Papier oder der Leinwand, mich bei jeder Begegnung ungeheuerlich beeindrucken. Und da das so ist, muss ich mich, wenn ich heute darüber spreche, immer ein wenig in Zurück-haltung üben, um nicht in überschwängliche Huldigungen zu geraten. Doch was er auch an-geht, welches Themas oder Motivs er sich annimmt, er adelt den Bildgegenstand. Wenn Sie sich umsehen, finden Sie im Grunde viele scheinbar banale Motive, die jedoch eine unerklär-liche Verbindung zum Betrachter herstellen – ob die „Hagebutten“ oder die „Eisvögel“ oder der „Hinterhof in Vilnius“. Selbst die Menschen-Szenerien, wie das Bild „Das Gastmahl“ von 2008, beschreiben trotz des Titels kein eindrucksvolles Ereignis. Es drängt sich thematisch nicht in den Vordergrund.
Jedes Objekt erhält seine Bühne. Was ist das? Was fesselt uns an diesen Bilderwelten?
Das Auge des Malers skizziert in groben Zügen seine Entdeckungen, doch nimmt er die Lichtstimmungen und die Besonderheit eine Situation auf und speichert sie ab. Im Atelier
schließlich wird laboriert und experimentiert. Mit schnellen Strichen entstehen die Grundzüge eines Bildes. Dabei liegt die Konzentration einzig auf dem Motiv – der Figur, dem Gegen-stand oder einer bestimmten Situation – der Hintergrund ist, wie sie sehen können, oft redu-ziert, was das Hauptmotiv umso stärker hervorkehrt. So sichert er eine Ausgewogenheit trotz des oft pastosen, schnellen Pinselstrichs. Häufig entstehen dann Variationen eines Mo-tivs, bei denen man sehen kann, wie intensiv Rechn seine Objekte beobachtet hat. Den Men-schen schaut er genau ins Gesicht und kehrt gelegentlich – um noch einmal zurück auf’s „Gastmahl“ zu kommen, in seiner ihm eigenen Überhöhung absurde Situationen oder defek-te zwischenmenschliche Beziehungen heraus. Es ist der Spiegel, den er uns vorhält.
Die „Hagebutten“ aus diesem Jahr, ein kleines Format – ein Kammerstück sozusagen! Ihre kraftvollste Zeit dauert, einmal geschnitten, nur Tage, doch in dieser pastosen Fassung ist ihre Frische und ihr strahlendes Rot dauerhaft festgehalten.
Günther Rechn fängt Motive ein, wo unser normalsterbliches Auge überhaupt keine vermu-tet, und dann kehrt er wie in einer Momentaufnahme diesen besonderen Augenblick heraus, dieses Flirren, die Stimmung, die Geschichte der Dinge … alles schwebt irgendwie mit.
Was dem natürlich vorausgeht, ist das jahrzehntelange Studium mit dem Zeichenstift, der gekonnt gesetzt werden will, aber nur das zeigt, was nötig ist. Seine Lehrer auf der Burg Giebichenstein in Halle, worunter besonders Willi Sitte als beeindruckender Zeichner nach-haltig wirkt, haben großen Anteil an Rechns Bildauffassung, dem das genaue Beobachten vorausgeht. Er benötigt schon lange keine Modelle mehr, um grobe Skizzen in vielschichtige, spannungsreiche Ölbilder umzuwandeln.
Dabei findet er stets die interessanteste Komposition, den angemessenen Einsatz von Hell und Dunkel, von Licht und Schatten, von lasiertem Bildhintergrund und pastos aufgetragener Farbe an exponierten Stellen im Bild. Das erzeugt Bewegung und Lebendigkeit. Und so, wie wir von den Dingen, die uns umgeben, nie ein komplettes Bild erhalten, sondern nur „unsere“ Per-spektive einnehmen, integriert der Maler genau diesen Aspekt in seine Bilder. Er spielt mit den Sehge-wohnheiten, der Phantasie und der Neugierde des Betrachters, wenn der Bildrand statt zu rahmen provokant anschneidet.
Und dann ist da die Mischung aus konkretem Gegenstand und der Ahnung von etwas. Was ihm dabei gelingt, ist das Schaffen von Atmosphäre. Und diese macht es bekanntlich schwer, sich greifbar beschreiben zu lassen. Sie ist eben eine Ansammlung all der genannten Kom-ponenten, mit dem Ergebnis, der Landschaft, dem Tier, den Menschen größtmögliche Erha-benheit zu verleihen.
Das Triptychon „Tanz ums goldene Kalb“ ist hier eines der größten Formate dieser Ausstellung. Seine Tiefgründigkeit verlangt etwas Zeit und Aufmerksamkeit von seinem Betrachter, denn was wir zu se-hen bekommen, ist großes Theater und damit eine Parallele unseres Zeitgeistes, unserer Handlungs-muster. Das Theater ist zudem ein Ort, welcher auf Täuschung gebaut ist und es versteht, viele Lügen und viele Wahrheiten aus dem Hut zu zaubern und zu entlarven. So bekommen wir auch hier auf iro-nisch zugespitzten Ebenen einen Spiegel vorgehalten: Zum einen die menschlichen Gewohnheiten,
gedanken- und gewissenlos im Überfluss zu schwelgen, sinnentleert in dieser Welt zu stehen, sich gierig auf immer mehr zu stürzen, immer höher hinaus zu wollen, sich größer zu machen, als man ist um sich im Tanz ums goldene Kalb selbst zu feiern. Man muss nicht bibeltreu sein und die Geschichte Moses kennen, um dieser Metapher der Verehrung von Reichtum und Macht begegnet zu sein. Die Redensart vom „Tanz ums Goldene Kalb“ findet doch in jeder Gesellschaft ihren berechtigten Platz, nicht zuletzt in unserer heutigen.
Sie haben sicher festgestellt, dass sich Rechn auf kein Thema festlegt. Alles findet seine Berechtigung … genau so, wie unsere Welt nun einmal gestrickt ist.
Tiere – für ihn Zeit seines Lebens ein besonderes Thema und als Malender ein dankbares Motiv, da sie so unverstellt und ehrlich sind. Sie handeln immer intuitiv, auch die Hunde, trotz ihrer mehr oder we-niger geglückten Erziehung durch Menschenhand.
Und die Landschaften, … die ihn finden, so scheint es, wenn er auf Reise geht, ob in der Lausitzer Hei-mat oder über die Landesgrenzen hinaus. Italien, mit seiner in den Bildern spürbaren Wärme – schon wenn Sie sich die im Grunde nicht sehr reizvollen Hauswände auf dem Bild „Hinterhof in Vilnius“ anse-hen, fängt Rechn dennoch genau das ein, was wir so lieben, wenn wir Italien bereisen: diese Stim-mung, das Alter von Städten und Dörfern, das an ihren Fassaden und eben auch Hinterhöfen und Straßen abgelesen werden kann, gepaart mit der flirrenden Wärme und dieser Zufriedenheit ihrer Be-wohner. Oder die Türkei, die ihn in den letzten Jahren malerisch aufs höchste beeindruckte.
Von vielen Lieblingsbildern fesselt mich eines davon am meisten: Es heißt „Wasser“ und entstammt eben einer dieser Reisen in dieses Land, in das Gebiet Anatolien. Wenn Sie davorstehen, wissen Sie vielleicht, was ich meine, wenn ich das Wort „Sog“ verwende … Die weißen Ränder dieses kraterhaften Beckens bilden einen hohen Kontrast zum tiefen Blau des Wassers. Eine fast unwirkliche Erscheinung!
Meine Damen und Herren, es gibt viel zu berichten über die beiden Künstlerfreunde, die ihrer Berufung wegen heute hier stehen und Besonderheiten ihres Schaffens präsentieren. Lassen Sie sich zu Be-obachtungen hinreißen, umrunden Sie die Plastiken Siegfried Stolles und entdecken Sie die Schönhei-ten ihrer Formen, ergründen Sie die Tiefe der Bilder Günther Rechns trotz ihrer Zweidimensionalität.
Tauschen Sie sich aus mit den Ausstellungsstücken, und selbstverständlich auch mit den beiden Künstlern.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit
© Maike Rößiger, Kunsthistorikerin