Verehrter Vorstand der degewo, sehr geehrter Herr Krüger, liebe Kunstfreunde, lieber Günther,
ich freue mich sehr, wieder mit einem interessierten Publikum in mitten von Bildern zu stehen, die mich immer wieder in ihren Bann ziehen. Und ich bin hier, um Ihnen zu erzählen, warum das so ist.
Kunst ist schön – macht aber viel Arbeit. Ein amüsanter, ironischer Spruch des Komikers Karl Valentin. Ein Satz allerdings, der sich auf das Schaffen Günther Rechns auf unterschiedliche Weisen auslegen lässt – was sowohl bemerkenswert wie typisch ist! Die eine Seite ist: der Maler setzt sich täglich, wöchentlich, monatlich einem ungeheueren Arbeitspensum aus, bei dem mit schneller Hand und zuweilen pastosem Pinselstrich Serien, also mehrere Varianten eines Themas, punktgenau und mit großer handwerklicher Sicherheit entstehen. Manchmal 3, 4, 5 Bilder täglich. Es wirkt wie eine Fingerübung, und doch sind sie gut durchdacht, wohl strukturiert, makellos. Und dann gibt es die Werke, die eine tiefe, anhaltende Auseinandersetzung mit einem großen Thema verlangen, wie wir es hier mit dem Diptychon „Der Raub der Sabinerinnen“ finden. Bevor es nur an die Grundierung der Leinwände geht, kommen unzählige, fast wiederum eigene Kunstwerke bildende Skizzen, Entwürfe, kompositorische Überlegungen, Figurstudien zu Papier. Dann beginnt sie endlich, die Arbeit an der Leinwand, die ich nach einiger Zeit sehen und bestaunen darf. Ein paar Wochen später bin ich wieder im Atelier und alles ist anders. Stellen Sie sich diesen Prozess vor, das Werden und Wachsen und das Verwerfen, was auch dazu gehört, die Rastlosigkeit und Zweifel, die den Genius zum Genius machen, bis er endlich an den Punkt kommt, an dem alles stimmt. Dies ist das Ergebnis, und es ist in dieser Ausstellung zweifellos das Hauptwerk, denn es sticht nicht nur durch seine Größe hervor, sondern hebt sich thematisch völlig von den anderen ausgestellten Bildern ab. „Der Raub der Sabinerinnen“ ist dem einen oder anderen als Titel sicher schon einmal begegnet. Als kurze Erläuterung sei Ihnen der historische Hintergrund gereicht: 8. Jahrhundert vor Chr.; Romulus gründete Rom und es kamen fast ausschließlich Vertriebene und Verbannte in die Stadt, so dass Frauenmangel herrschte. So lud er – der listige Romulus – die Sabiner – ein benachbarter italischer Stamm – mit ihren Familien zu Festspielen ein. Die Römer entführten die unverheirateten Mädchen, woraufhin die Brüder und Väter Rache schworen. Einige Zeit später rückten sie mit einem gewaltigen Heer an. Die Sabinerinnen, die allerdings nicht mehr ganz unfreiwillig zu Ehefrauen und Müttern von Römern wurden – stellten sich schließlich zwischen die verfeindeten Heere und erzwangen so den Frieden. Daraufhin siedelten die Sabiner nach Rom über.
Diese Sage wurde mit barockem Pathos oder manieristischer Übertreibung der Körper oft in die Malerei und Plastik übersetzt. Eingebettet in einen Schauplatz antiker römischer Architektur und aufwühlenden Wolkenbergen im Hintergrund bekam der Betrachter sogleich eine Lehrstunde in Geschichte und Kulturgeschichte. Natürlich – jede Epoche hat seine Stilmittel. Was wir allerdings bei Günther Rechn zu sehen bekommen, ist Konfrontation und Provokation. Der für den historischen Rahmen oft selbsterklärende Hintergrund ist ausgeblendet. Wir erfahren nichts über Zeitpunkt oder den konkreten Ort. Es gibt nur die neutrale Horizontlinie zwischen Wasser und Himmel. Worum es hier geht, ist die Beziehung zwischen den Figuren und uns als Betrachter. Das ist sein Stilmittel. Wir stehen vor diesem großen Bildwerk und finden uns in einem Tumult an nackten Körpern wieder, der nahezu orgiastische Züge hat. Rechn ist nicht zimperlich, im Gegenteil, er stellt Figuren in anatomischer Perfektion zur Schau – ob Mensch, ob Tier, – kostet den ungewöhnliche Betrachterstandpunkt aus und zelebriert die perspektivischen Verkürzungen der Körper. Unsere Blicke und die mancher Figuren kreuzen sich. Wir werden bei der Beobachtung einer Situation ertappt, die sich offenbar zwischen Gewalt und Erotik bewegt. Es ist eine Momentaufnahme – als hätte jemand in dieser Sekunde auf den Auslöser gedrückt und unfreiwillig dramatische wie komische Szenen festgehalten. Dem Maler gelingt ganz nebenbei, die Komik in das Geschehen einzubauen. Er ist ein Meister darin, Menschen und Tiere so in der Bewegung festzuhalten, dass wir als Betrachter mitunter Zeugen skurriler Gestik und Mimik werden. Und wenn wir nicht wegschauen, drohen wir, mit in das Bildgeschehen hinein gezogen zu werden.
Selten ist mir ein Künstler begegnet, dem es gelingt, sowohl große Momente als auch scheinbar banale Motive einzufangen und mich bei beidem gleichsam zu fesseln. Es ist die faszinierende Mischung aus der gewählten Perspektive, diesem flirrenden Licht, der eingefangenen Stimmung und oft eben diese Portion Humor. Humor lädt immer auch zur Auseinandersetzung ein, ob bei gesellschaftskritischen Themen oder ganz alltäglichen – auch wenn oder gerade weil wir uns sehr oft selbst erkennen, weil wir aus dem Bild heraus angeblickt werden, uns berührt oder gar beteiligt fühlen. Dabei müssen Motive nicht einmal inhaltsschwer und dramatisch sein. Mich berührt das Bild „Stillleben mit Abate“ in dieser Ausstellung mindestens genauso stark wie die „Sabinerinnen“. Hier ist es wieder der ungewöhnliche Blickwinkel, aber auch die Ruhe und Ausgewogenheit, die es ausstrahlt, und das Haptische der einfachen Dinge, ihre Textur: das reine, weiße Tischtuch hängt halb schräg vom Tisch herab. Statt eines dramatischen Faltenwurfs ist lediglich die Bügelfalte zu sehen und das empfinde ich zumindest als viel ehrlicher. Diese leuchtende, etwas eingedrückte Blechdose möchte ich anfassen, und der Duft der reifen Birne ist beinahe zu spüren. Der schlichte, sparsam gefasste Hintergrund, was ebenfalls ein typisches Stilmittel in Rechns Bilderwelten ist, betont das Motiv umso mehr. Ich stelle mich vor das Bild und versuche, zu ergründen, aus welchen Farben dieser silberne Schein der Dose oder der sichtbare Knick im Tischtuch bestehen. Die Mittel sind reduziert, ohne dabei auf nötige Details zu verzichten.
Sie sehen in dieser Ausstellung, welche Themen dem Maler neben den Stillleben auch besonders am Herzen liegen. Es sind Landschaften und vor allem sind es Tiere. Aber nicht etwa in ihrer Allgemeingültigkeit, sondern eben in ihrem Moment und vor allem in ihrer Persönlichkeit. Auch hier klammert Rechn wieder konventionelle Sehge
wohnheiten aus. Da ist der Boxer „Benno“, der uns beschämend provokant, aber wie selbstverständlich gegenüber sitzt. Natürlich wirkt Benno wie einer, der von seiner Daseinsberechtigung am meisten überzeugt ist. Oder „Pompelmo“, der Mops, der es im Leben schon weit gebracht hat, ansonsten wäre er schließlich nicht so würdevoll porträtiert worden. Die „Kraniche“ öffnen in der Hitze der Mittagssonne ihr Gefieder wie ein Blumenstrauß und tanzen oder balzen oder machen dem Rivalen ihre Überlegenheit deutlich. Auch der „Hahnenkampf“ ist voller Lebendigkeit und Kraft. Deutlich blitzen in der Bewegung die Farben aus ihrem Gefieder hervor.
Ja, Günther Rechn ist ein hervorragender Beobachter: Orte, Landschaften, zwischenmenschliche Situationen, Körpersprache von Tieren und das stille Leben von Stillleben … Dem zugrunde liegen eine lebenslange Schule, unzählige Skizzenblöcke und Tausende gemalter Bilder zu Hunderten von Motiven. Das Studium, das 1966 in Halle an der Burg Giebichenstein begann, endete nur pro forma mit dem Diplom, denn ein Künstler studiert lebenslänglich. Seine Lehrer Lothar Zitzmann, Hannes H. Wagner und Willi Sitte hatten einen wichtigen Anteil an der Ausbildung seiner Talente. Es ist die Verbindung von Handwerk und bildender Kunst, die in Halle bis heute in besonderem Maße gelingt, und das ist im Werk Rechns deutlich zu sehen. Vor allem Sitte, für den das Zeichnen das Wesentliche ist und nur das zur Malerei hinführt, beeindruckte mit der Beherrschung der genauen Linie. Viele Ausstellungen hat Rechn bis heute erlebt, Preise gewonnen, Reisen gemacht, die ihn mit Kulturen und Menschen zusammenbrachten. Italien, das Land, welches er für viele Jahre als zweiten Arbeitsort wählte, hatte eine immense Bandbreite an Motiven und außergewöhnlichem Licht für ihn; die Türkei und insbesondere Troja als Mythos und Realität fasziniert ihn und lässt ihn das wohl ungewöhnlichste Troja-Motiv malen, das je zu Papier oder auf Leinwand gebracht worden ist: „Feigenbaum im Winter“ mit dem Untertitel „Schliemanns Grab“. Dabei ist nicht wichtig, dass Heinrich Schliemann faktisch in Athen begraben liegt. Hier geht um die mythische Stimmung rund um Troja, welche mittels eines faszinierenden und Jahrtausende alten Gehölzes, wie dem Feigenbaum, eingefangen wurde.
Günther Rechn wird nicht müde, das zum Thema eines Bildes zu machen, was ihm vor die Augen kommt – sei es in einem fremden Land oder vor der eigenen Haustür. Sein Haus und Garten in Limberg bei Cottbus bieten ihm dabei die gleiche malerische Faszination und Herausforderung wie z.B. der Kampf zweier Hähne oder das Kräftemessen zweier Maremma-Stiere in Italien.
Ich möchte noch so viele Worte verlieren zu den Bildern, die Sie in dieser Ausstellung sehen können, aber – Sie haben auch Augen! Sehen Sie, was ich sehe, werden Sie zum Beobachter und Entdecker, lassen Sie sich einfangen von den Wesen und Landschaften und Stillleben. Sprechen Sie Günther Rechn an oder genießen Sie einfach diese Ausstellung, und sagen Sie es weiter.
Vielen Dank
© Maike Rößiger, Kunsthistorikerin